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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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sich selber an, klammerte sich an den Haltegriff des Autos wie an eine Liane und machte einen routinierten Seitwärtshüpfer auf den Rollstuhl. Als er wohlbehalten saß, holte er einen Deoroller aus der Jacketttasche und rieb ihn unter seinen Achseln hin und her. Danach benutzte er ein Mundspray.
    »Das Alter«, sagte er, zu mir gewandt, »ist ein olfaktorisches Problem. Man riecht nicht mehr gut, man riecht nach Fäulnis und Tod. Gammelig. Moderig. Auch das teuerste Parfüm kann das nicht vertuschen. Ich hab mal gelesen, dass man sogar Krebs riechen kann, noch bevor ein Arzt ihn entdeckt, noch bevor derjenige, der ihn hat, überhaupt davon weiß.«
    Ich hatte derlei schon häufiger gehört. Über die späte Marlene Dietrich hatte jemand gesagt: Sie verströmte einen Geruch vonScotch und körperlichem Verfall, aber ob es stimmte? Müller jedenfalls, fand ich, roch nach Erfolg.
    Er ruckelte sich im Rollstuhl zurecht, stopfte sein vom Sprung derangiertes Hemd in die Hose und tippte stumm auf seine Krawatte. Pilz beugte sich hinunter und richtete sie. Mit zwei Handbewegungen, deren Mütterlichkeit mir zu Herzen ging, wischte der Fahrer seinem Boss die Schuppen vom Kragen.
    »Ich bin ein morscher alter Mann«, sagte Müller, lehnte sich zurück und wartete auf Protest. Immer, wenn er dergleichen sagte, lauerte hinter seiner vorgetäuschten Selbsterkenntnis der Schießbefehl. Pilz und ich protestierten. Er sei nicht mal sechzig. Viel jünger aussehend! Und noch so gut in Schuss! Was man eben so sagt.
    »Man zerfällt bei lebendigem Leib«, sagte Müller, besänftigt, aber nicht überzeugt, zog einen Handspiegel aus der Innentasche und bleckte die Zähne. »Eines Tages macht es puff, ich platze auf wie ein Kartoffelbovist, und nichts als Staub fällt aus mir heraus.«
    Er lachte dröhnend, Pilz und ich fielen zögernd ein. Müllers Büro, in das wir durch die Hintertür gelangten, war eine modernistische Anhäufung von Glas, Spiegeln und Pflanzen. Müllers Assistentin trat herein, eine postmoderne Businessbiene mit Hosenanzug und lila Designerbrille.
    »Das ist Fräulein ...«
    »Frau!«
    »Frau ...«
    »Meierhanns.«
    »Sie hat studiert in – Ding ...«
    »Harvard.«
    »Spricht fünf Sprachen.«
    »Vier.«
    »Jetzt schreibt sie an ihrer Halluzination. Hihihi. Habilitation. Und das ist ...«
    »Michael Rothe.«
    »... Meikel. Er schreibt über mich. Was hab ich jetzt, Fräulein Meierhanns?«
    »Frau! Um 11 kommt Frau Mitscherlich von der Filmförderung.«
    »O Gott! Brigitte Ich-bin-das-Geld-Mitscherlich, diese vertrocknete, alte Kuh!«
    »Und um 12 essen Sie mit dem Chef der Kopfklinik.«
    »Warum?«
    »Es geht um das Gutachten zur Vernehmungsfähigkeit.« Die Sekretärin schloss die Tür hinter uns.
    Müller seufzte und betrachtete sich sorgenvoll in einem großen Wandspiegel.
    »Nun längst zu Ende, graue Herzen, graue Haare ...«
    »... der Garten in polnischem Besitz, die Gräber teils-teils, aber alle slawisch ...«
    Müller sah mich anerkennend an. Das hatte er nicht erwartet, dass ich aus dem Stegreif Benn zitieren konnte. Der Punkt ging an Mutter.
    »Das Alter«, sagte Müller, »ist auch ein optisches Problem. Man leiert aus, verliert die Form, die Haltung, man kriegt einen Blähbauch, dünne Ärmchen, dünne Beinchen. Schauen Sie, hier und hier. Die Haut schlottert wie ein zu großer Overall. Sie ist faltig, fleckig, verwarzt. Man vergilbt: gelbe Zähne, trübe Augen, graues Gesicht. Und die Haare ...«
    »Sie haben doch sehr volles Haar?«
    Er tippte sich auf die Kalotte. »Eigenhaarwurzelverpflanzung. Fünftausend Euro. Gut, was?«
    »Hervorragend!«
    »Sie schneiden hier hinten ...«, Müller fasste sich an den Hinterkopf, »einen Streifen raus und pflanzen das hier vorn ein. Sie denken jetzt vielleicht, lächerlich, aber kommen Sie mal in mein Alter! Man würdeeinfach alles tun, um sich zu verjüngen. Deswegen lasse ich mir einmal im Monat eine Jungfrau kommen und trinke ihr Blut. Sie sind doch Jungfrau?«
    Müllers Spiegelbild bohrte mich mit den Augen an. Da stand ich neben ihm, ein Blassschnabel, linkisch, schlaksig, gegelt. Kein Charisma, kein Format, keine Klasse. Nur Jugend. Nichts als nackte Jugend. Und Müller, das alte Raubtier, würde die ganze Wucht seiner Erscheinung hergeben für meine nackte Jugend. Ich lachte höflich, während mir die Hitze ins Gesicht schoss. Ich war in der Tat noch Jungfrau. Müller würde mein Blut trinken. Er trank es bereits.

SONNENKÖNIG
    Ich war bei allen

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