Zur Leidenschaft verfuehrt
ausgebreitet auf dem Tablett lag, prangte jetzt ein Kaffeefleck, und auf dem Marmorboden glänzte eine dunkle Lache, nur der Teppich hatte zum Glück nichts abbekommen. Ihre Eltern hätten über so viel Ungeschicklichkeit nur den Kopf geschüttelt und sie wahrscheinlich zum hunderttausendsten Mal daran erinnert, was für ein Tollpatsch sie war. Dabei hatte sie sich ihr ganzes Leben lang gewünscht, sich mit traumwandlerisch sicherer Eleganz zu bewegen und nicht wie ein kleiner Elefant im Porzellanladen, wie ihre Mutter sie oft scherzhaft genannt hatte.
„Tut mir leid“, sagte sie verlegen. „Ich bin manchmal so tollpatschig.“
Tollpatschig? Sie? Raphael runzelte die Stirn. Gewiss, sie war groß, aber ihre Hände waren schmal und feingliedrig, und ungeschickt war sie nicht. Ganz im Gegenteil, Raphael hatte registriert, wie kontrolliert und sparsam ihre Bewegungen waren, fast als ob sie Hemmungen hätte, sich frei zu bewegen.
„Bestimmt möchten Sie sich umziehen. Ich warte so lange hier.“
„Nein, nein, geht schon. Das ist doch gleich trocken“, gab Charley mit einem beiläufigen Schulterzucken zurück.
Sein Blick machte keinen Hehl daraus, was er von Frauen hielt, die so wenig Wert auf ein makelloses Äußeres legten.
Charley überwand ihren Stolz und sagte: „Ich habe nur die eine Hose dabei. Ich wollte ja ursprünglich nur drei Tage bleiben.“
Nachdem der erste Schock vorbei war, spürte Charley, dass der Kaffee viel heißer gewesen war, als sie anfangs gedacht hatte. Ihr Schenkel pochte, aber sie biss die Zähne zusammen, wild entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen.
„Gehen Sie auf Ihr Zimmer“, befahl Raphael. „Ich werde Anna bitten, Ihnen etwas zum Anziehen zu besorgen.“
Nachgeben war einfacher als zu widersprechen, besonders da der Schmerz inzwischen fast unerträglich war. Charley nickte und stand auf … und spürte erschrocken, wie ihr die Beine wegsackten. Sie taumelte gegen Raphaels Schreibtisch.
Raphael riss eine Schreibtischschublade auf und zog etwas heraus. Eilig sprang er auf und kam auf sie zu, während sie sich an der Schreibtischkante festklammerte.
„Nein!“, protestierte Charley, als sie die Schere in seiner Hand sah. Aber er beachtete sie gar nicht, sondern bückte sich blitzschnell und durchtrennte mit einer einzigen Handbewegung den blauen Jeansstoff, so entschlossen, als wollte er einen gefährlichen Feind unschädlich machen. Als ein kühler Luftzug ihr Bein streifte, erschauerte sie. Sie spürte Übelkeit in sich aufsteigen, die einherging mit einem leichten Schwindel. Und dann sah sie, dass die Haut, die durch den Schnitt durchschimmerte, krebsrot geworden war. Sie hatte sich richtig verbrüht.
Raphael presste die Lippen aufeinander und sagte in ernstem Ton: „Das muss sich ein Arzt ansehen.“
„Bestimmt nicht“, widersprach Charley. „Ich mache mir rasch ein paar kalte Umschläge, dann ist alles wieder gut. Ich gehe schnell nach oben …“ Sie ließ die Schreibtischkante los und machte zwei Schritte. Es schmerzte so heftig, dass sie fast laut aufgeschrien hätte.
Raphael sah, dass sie ganz blass geworden war. Das reichte. Wie konnte man bloß so stur sein? Bevor Charley reagieren konnte, hatte er sie hochgehoben und presste sie so fest an sich, dass sie keine andere Wahl hatte, als ihre Arme um seinen Hals zu legen.
Er wollte sie doch nicht etwa die Treppe hinauf in ihre Suite tragen, oder? Aber er tat es tatsächlich. Und er trug sie so mühelos, als ob sie leicht wie eine Feder wäre.
In ihrer Suite legte Raphael Charley aufs Bett und befahl ihr, sich nicht vom Fleck zu rühren, dann ließ er sie allein.
Seltsam, dass sie den Schmerz in Raphaels Armen gar nicht mehr gespürt hatte. Jetzt war er zurückgekehrt und zwar heftiger denn je. Lächerlicherweise hatte sie sich wie beraubt gefühlt, als Raphael sie auf dem Bett abgelegt hatte. Und noch lächerlicher – und gefährlicher – war es, sich zu wünschen, er wäre bei ihr geblieben. Charley schaute auf ihre zerschnittene Jeans. Du bist kein hilfloses Kind, erinnerte sie sich. Einen Moment später setzte sie sich entschlossen auf und begann, die Jeans behutsam über die Hüften nach unten zu schieben. Als der raue Stoff ihre Wunde streifte, zuckte sie vor Schmerz zusammen, aber dann hatte sie es geschafft. Die Hose fiel neben dem Bett auf den Boden.
„Was zum Teufel …? Ich habe doch gesagt, Sie sollen liegen bleiben.“
Charley fuhr herum. Raphael kam mit einem Erste-Hilfe-Kasten in
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