Zur Leidenschaft verfuehrt
der Hand herein.
„Ich habe mit dem Arzt telefoniert, er wird bald hier sein. Er sagt, es ist besser, wenn wir einen Notverband anlegen, damit sich die Verletzung nicht entzündet.“
Raphael ging vor dem Bett in die Knie und begann, die Wunde zu verarzten. Charley, die nur noch ihr Spitzenhöschen trug – ein Weihnachtsgeschenk von Lizzie – versank vor Scham fast im Boden, aber Raphael schien nichts zu bemerken.
„Lassen Sie, ich mache das schon …“, begann sie verlegen.
„Seien Sie still“, schnitt er ihr ungnädig das Wort ab.
Sie hatte sich die Hose ausgezogen, während er weg war. Und das bedeutete, dass er jetzt nicht mehr nur von ihren langen schlanken Beinen abgelenkt wurde, wie Raphael vor sich selbst zugeben musste. Dabei hatte er schon Frauen in weit aufregenderer Unterwäsche gesehen, aber das interessierte seine Fantasie offenbar wenig. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund stand ihm sehr deutlich vor Augen, was sich unter diesem kleinen Stück Stoff verbarg. So deutlich, dass es einen höchst unerwünschten Effekt auf seinen Körper hatte. Erbost über sich selbst und seine eigene Schwäche öffnete Raphael den Erste-Hilfe-Kasten und nahm eine Mullbinde heraus, dann schaute er auf Charleys Bein, das jetzt leicht zitterte.
„Wird es schlimmer?“, fragte er.
Charley nickte, obwohl nicht der Schmerz das Zittern verursachte. Ihre Reaktion auf seine Berührung schockierte sie. Sie reagierte wie ein hoffnungslos verliebter Teenager.
„So, jetzt muss nur noch der Arzt kommen.“
Charley nickte und murmelte widerstrebend: „Danke.“
Sie hatte Hitzewallungen, sie zitterte, und ihr war schlecht. Ihre Nerven spielten verrückt, und das war bestimmt nicht allein der Brandverletzung geschuldet. Diesmal fiel ihr ein Stein vom Herzen, als Raphael sie endlich allein ließ.
4. KAPITEL
Es war wieder ein wunderschöner sonniger Morgen, ihr zweiter hier in Raphaels Palazzo, oder genauer gesagt in Raphaels Gästezimmer und somit auch in Raphaels Bett. Als Charley sich daran erinnerte, wie Raphael ihren Schenkel berührt hatte, überlief sie prompt eine Gänsehaut. Überwältigt schloss sie die Augen. Es musste an den Tabletten liegen, die ihr der Arzt gestern gegeben hatte. Außerdem hatte er empfohlen, den Rest des Tages im Bett zu verbringen, woran sie sich auch brav gehalten hatte.
Heute Morgen würde sie nicht im Schlafanzug auf den Balkon treten. Inzwischen wusste sie es besser.
Statt an Raphael zu denken, sollte sie sich lieber Gedanken darüber machen, wie sie zu einer neuen Hose kam. Von Anna hatte sie diesbezüglich noch nichts gehört, obwohl Raphael gestern versprochen hatte, ihr Bescheid zu sagen.
Alles in allem war Charley Raphael sehr dankbar, dass er mit der Situation so sorgsam umgegangen war. Der Arzt hatte betont, dass mit Brandverletzungen nicht zu spaßen war, weil sich leicht Komplikationen ergeben konnten.
Charley blickte auf ihr Frühstück, das sie noch nicht angerührt hatte. Sie war viel zu nervös, um zu essen. Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar, strich sich eine Strähne aus den Augen. Seit ihrer Ankunft hier war ihr schon einiges abhanden gekommen: Ihr Haarband, ihre Jeans, ihr Stolz und sogar ein Teil ihrer Selbstachtung. Aber hatte sie da nicht noch etwas vergessen? Charley schüttelte gedankenverloren den Kopf. War denn die Liste, die sie eben aufgezählt hatte, nicht auch so schon lang genug? Musste sie wirklich ausdrücklich betonen, dass ihr ureigensten Schutzmechanismen abhanden zu kommen drohten? Die Mechanismen, die sie sich zugelegt hatte, um nicht spüren zu müssen, wie weh es tat, wenn man als ungenügend eingestuft wurde?
Verzweifelt bemüht, sich von ihren düsteren Gedanken abzulenken, blickte sie sich in dem Raum um. Das Zimmer musste irgendwann restauriert worden sein, weil der Barockstil neueren Datums war als der Palazzo selbst. Die in einem weichen Blaugrau gehaltene Wandtäfelung war mit goldenen Borten und Cupidos verziert, und der imposante Baldachin über dem Bett beeindruckte mit kunstvollen Holzschnitzereien. Das große Marmorbad wurde von einer mächtigen altmodischen Klauenfußbadewanne dominiert, während die Dusche daneben mit allen Schikanen ausgestattet war.
Als es klopfte, griff sie nach dem Frühstückstablett und ging zur Tür, um zu öffnen. Das war sicher Anna mit ihrer neuen Hose. Eine Annahme, die sich allerdings gleich darauf als trügerisch erwies, wie Charley feststellen musste, als sie sich Raphael gegenübersah.
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