Zur Leidenschaft verfuehrt
bestückt waren und zur einschüchternden Atmosphäre noch beitrugen. Da sich der große Raum, den Raphael als Arbeitszimmer nutzte, im Eingangsbereich des Palazzos befand, war anzunehmen, dass sich hier früher die Bibliothek befunden hatte, eine Art Empfangs- und Besprechungsraum, wo Befehle erteilt und Verträge abgeschlossen wurden – der Verwaltungsmittelpunkt des Anwesens sozusagen. Bestimmt hatten hier einst die Angestellten ihre Jahresbilanzen vorlegen und bohrende Fragen beantworten müssen. Um am Ende vom Grafen Lob zu empfangen oder seinen Zorn über sich ergehen lassen zu müssen.
Charley erschauerte. Lob oder Zorn … keine Frage, was sie in Raphaels Augen verdiente.
Der schwere, mit kunstvollen Holzschnitzereien und Intarsien verzierte Schreibtisch stand so, dass das Licht, das durch die kleinen Fenster fiel, direkt auf der mit Unterlagen bedeckten Schreibtischplatte landete.
Raphael streifte Charley mit einem kurzen Blick. Heute hatte sie sich dazu durchgerungen, das duftig wirkende Haar offen zu tragen. Ihr Anblick weckte erneut Begehren in ihm. Herrgott noch mal, was ritt ihn da bloß ständig? Er war schließlich kein hormongesteuerter Jugendlicher mehr! Trotzdem spielte seine Fantasie schon wieder verrückt. Zwanghaft begann er sich auszumalen, wie es wohl sein mochte, mit beiden Händen in diesen langen Haaren zu wühlen, während er nackt auf ihr lag und sie so erregte, wie sie ihn heute Morgen auf dem Balkon erregt hatte. Ihm war schleierhaft, warum sie diese Wirkung auf ihn ausübte. Sie war doch überhaupt nicht sein Typ. Absolut nicht. Eigentlich hatte sie nichts, aber auch gar nichts an sich, was ihn reizte. Sie war weder elegant noch schlagfertig, hatte, soweit er es beurteilen konnte, keinen Funken Humor, und dass sie besonders weltgewandt wäre, konnte man auch nicht behaupten. Das aber waren die Eigenschaften, die er an Frauen schätzte, und dieser hier mangelte es an allem.
Er konnte sich die Geschichte nur so erklären, dass sein Hormonsystem vor lauter Verärgerung über sie irgendwie durcheinandergeraten war und deshalb so völlig unangemessen reagierte. In Wahrheit war ihm Charlotte Wareham ein Dorn im Auge – in mehrfacher Hinsicht.
„Ich habe hier die Kopien der Originalpläne für den Garten. Ich möchte, dass Sie sie studieren und mir anschließend Ihre Vorschläge für das weitere Vorgehen unterbreiten“, sagte er im Befehlston.
Charley biss die Zähne zusammen. „Jawohl, Herr Graf.“
Es folgte eine kurze spannungsgeladene Stille. So als ob er wüsste, dass sie an ihren Worten fast erstickt wäre, weil er sie zu einer reinen Befehlsempfängerin degradierte, die keine andere Wahl hatte, als seinen Anordnungen Folge zu leisten. Sie sah, wie sich in den stahlgrauen Augen ein Gewitter zusammenbraute, und wartete ungerührt auf ihre Strafe.
Doch als er schließlich das Wort ergriff, sagte er nur: „Ich möchte, dass Sie mich Raphael nennen.“
Bestürzt blickte Charley ihn an. Sie sollte ihn mit dem Vornamen anreden, nicht mit seinem Titel? Erst wollte sie trotzig widersprechen, aber dann wurde ihr gerade noch rechtzeitig klar, dass sie sich damit nur lächerlich machen würde.
„Im Übrigen möchte ich Sie darauf hinweisen, dass jeder Versuch, die Restaurierung des Gartens zu sabotieren, indem Sie ähnliche Scheußlichkeiten wie diese steinernen Imitate von gestern anschleppen, Ihre sofortige Entlassung zur Folge hat. Der Garten wird in seiner alten Pracht wieder aufleben, bis in das kleinste Detail hinein.“
Charley hörte die Leidenschaft in seiner Stimme mitschwingen. Wenn er einem Garten schon eine solche Leidenschaft entgegenbrachte, wie mochte es dann erst bei der Frau sein, die er liebte?
Sie erschauerte. Vor langer Zeit, noch bevor sie verstanden hatte, dass ein Wildfang nicht die Art Mädchen war, die ein Mann beschützen wollte, hatte sie davon geträumt, von einem Mann geliebt zu werden, dessen Liebe so stark war, dass ihr nie etwas passieren konnte.
Plötzlich verspürte sie ein schmerzendes Gefühl von Verlust. Diese Art Liebe – Raphaels Liebe – würde sie nie kennenlernen.
Liebe? Was um Himmels willen war das denn nun wieder? Liebe in Verbindung mit diesem Mann hatte in ihren Gedanken nichts verloren! Absolut nichts. Verwundbarkeit konnte sie sich nicht leisten. Sie war ohnehin viel zu verletzlich.
Ein diskretes, aber entschlossenes Klopfen an der Tür störte ihre verstörenden Gedanken. Raphael wandte den Kopf und sagte:
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