Zur Liebe verführt: Roman (German Edition)
Anna zu der einzigen Hütte, die noch nicht so windschief war, dass sie ihren neuen Mieter abgeschreckt hätte. In seiner besten Zeit war Fox Run Mill ein florierendes Sägewerk gewesen, das täglich zwei Zehn-Stunden-Schichten gefahren hatte. Der Betrieb, der sich aus zwei Dutzend über fast zehn Morgen verstreuten Gebäuden zusammensetzte, lag inmitten von zweitausend Morgen dichten Waldes zwischen der Hauptstraße und Frost Lake. Die meisten Bauten befanden sich in traurigem Zustand, einige waren völlig eingefallen. Der Stall, der über dreißig Pferden Platz geboten hatte, war vergleichsweise noch gut erhalten. Der niedrige Bau, in dem sich die Hauptsäge befunden hatte, erstreckte sich über fast hundertfünfzig Fuß und war ebenfalls einigermaßen intakt, genauso wie das Küchenhaus und die Unterkünfte für die ledigen Arbeiter. Aber etliche Schuppen und viele der Familienhütten hatten
den Kampf mit der Natur aufgegeben und verschmolzen allmählich mit dem vordringenden Wald.
Vor hundert Jahren, als Holzarbeit noch sehr arbeitsaufwendig gewesen war, hatte Fox Run Mill als Winterquartier für fast neunzig Holzfäller und Sägewerker sowie deren Familien gedient. Jetzt war es ein Geister-Camp. Und seit drei Monaten gehörte es ihr – Geister inklusive.
Seit Anna eingezogen war, hatten sich hier sonderbare Dinge abgespielt. Nachts drangen zuweilen Geräusche aus den verschiedenen Nebengebäuden und rissen sie aus dem Tiefschlaf. Wenn sie dann am Morgen nachsah, waren Werkzeuge und alte Ausrüstungsgegenstände verschoben worden, als hätte ihr Gespenst etwas gesucht. Eines Morgens musste sie feststellen, dass sogar ihr Truck durchstöbert worden war.
In Wahrheit aber waren Gespenster im Moment ihr geringstes Problem, da die Steuerbehörde viel bedrohlicher war. Samuel hatte ihr einen Haufen Steuerrückstände hinterlassen. Anna steckte nun bis zum Hals in Schulden. Sie gestand es sich nur ungern ein, aber Tom Bishop hatte recht: Dreitausendsechshundert Dollar brachten sie der Schuldenfreiheit ein ganzes Stück näher.
Und außerdem: Was war schon ein Mann mehr in ihrem Leben? Sie war noch keinem begegnet, den sie nicht mit ein wenig berechnendem Charme hätte manipulieren können. Sie grinste. Und wenn ihr Charme nicht wirkte, blieben noch immer das Montiereisen oder die Knarre.
Anna blieb vor einer Hütte stehen, die noch einigermaßen gerade stand, und inspizierte sie kritisch. Sie neigte sich nach links, das Dach war eingesunken, doch war sie noch
so weit intakt, dass sie dem neuen Besitzer von Loon Cove Lumber als Quartier zuzumuten war. Und was das Beste war, sie stand in beträchtlicher Entfernung von ihrem Haus.
Plötzlich landete Charlie auf ihrem Kopf. »Lästiger Kerl. Jetzt habe ich keine Zeit zum Spielen«, sagte sie zu dem Vogel und ließ ihn auf ihrem Finger Platz nehmen, damit sie ihn an ihr Gesicht halten konnte. »Du darfst dich nicht so anschleichen«, ermahnte sie ihn. »In einem Monat kommt ein neuer Bewohner. Du darfst ihn mit deiner Rasselbande nicht vertreiben.«
Charlie blinzelte sie an, legte den Kopf schräg und ließ ein Zwitschern hören. Anna warf ihn in die Luft und sah ihm nach, wie er auf einen nahen Ast flatterte. Dann stieg sie die Stufen zur Hütte hinauf.
Die Tür war eingefroren. Sie drückte dagegen, weil allerdings ihre Schulter noch vom Unfall am Tag zuvor schmerzte, unternahm sie erst gar nicht den Versuch, sie aufzubrechen. Sie ging stattdessen zum Fenster und wischte die Scheibe blank, um hineinsehen zu können. Der Raum sah trocken, aber total verdreckt aus, sie stapfte also zum alten Maschinenschuppen und kam mit einem Schlitten voller Werkzeuge wieder. Sie benötigte zehn Minuten mit einem Brecheisen, doch schließlich verschaffte sie sich Zutritt zur Hütte, trat ein und fing nach zwei Schritten zu niesen an. Hier gab es so viel Staub, dass man einen Toten hätte vergraben können.
Drei Stunden lang putzte sie, räumte auf und warf kaputte Möbel hinaus, bis sie vor der Tür einen Stapel angehäuft hatte, der einen Mülllaster gefüllt hätte. Schließlich wurde es Zeit, den alten Holzofen zu befeuern, erst aber musste sie aufs Dach klettern und im Kamin nachsehen.
Da sie sich mit einer Leiter nicht abmühen wollte und froh über den hohen Schnee war, der aller Wahrscheinlichkeit nach die Rückseite der Hütte stützte, arbeitete sie sich vorsichtig aufs Dach hinauf und hüpfte einige Male auf und ab, um sich zu vergewissern, dass es ihr Gewicht
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