Zur Sache, Schätzchen (German Edition)
Roxanne fest. Ihre Worte klangen unbekümmert, doch sie hatte schweißnasse Hände.
Sie hatte eine ziemliche genaue Vorstellung von dem, was der Padre denken würde, wenn er sie sah. Enge Jeans, rote Stiefel, ein knappes Top mit einem zu tiefen Ausschnitt für diese Tagszeit, dazu diese wilde Frisur. Und meine Fingernägel, dachte sie, als sie ihre Hände an ihren Jeans abwischte. Sicherlich würde er sie für eine schrecklich schamlose Frau halten.
“Hast du Angst?”, fragte Tom.
“Angst? Ich?” Sie hob ihr Kinn. “Natürlich nicht.”
Sie hatte Angst. Höllische Angst. In ihrer Fantasie hatte sie ein Bild von diesem Mann gemalt. Von diesem Heiligen, den alle Padre nannten. Dieser selbstlose Ausbund an Tugend, der Theologie studiert hatte, um Priester zu werden, den Plan aber aufgegeben hatte und stattdessen verlorenen jugendlichen Seelen half, auf den rechten Weg zu kommen. Sie stellte sich jemanden vor wie den verstorbenen Spencer Tracy in seinem priesterlichen Gewand in dem Film
Boys Town
oder, noch beängstigender, Charlton Heston in einem seiner biblischen Werke, streng und verdammend und königlich.
Der Mann, den sie vorfand, war ganz anders. Ein grauhaariger alter Löwe in einem ausgeblichenen grünen Krankenhauskittel, mit einem kleinen Plastikarmband um das linke Handgelenk. Sein Gesicht war braungebrannt und zerknittert vom Alter, die Wangen hingen schlaff hinunter, trotzdem wirkte er wie ein Patriarch. Aufrecht saß er im Bett, das Kopfteil im Rücken, ein Getränk in der Hand, und unterhielt sich ruhig mit der sehr attraktiven Frau, die auf einem der Besucherstühle vor dem Fenster saß.
Überrascht blieb Tom in der Tür stehen, dann ließ er Roxannes Hand los und stürmte ins Zimmer. “Hallo, Mom”, sagte er und küsste die Frau auf die Wange. “Ich wusste nicht, dass du in der Stadt bist. Wie geht es dir?”
Mom? Diese hübsche Frau mit den sanften Augen, die nicht älter als vierzig schien, war Toms Mutter? Was sollte das ganze? Sie traf nicht nur auf den Mann, der wie ein Vater für ihren Liebhaber war, sondern sie fand sich auch noch seiner Mutter gegenüber. Wurde sie einer Prüfung ausgesetzt? Nur mit Mühe widerstand sie dem Drang, ihr Top ein wenig züchtiger über den Brustansatz zu ziehen. Hatten sie sich gegen sie verbündet? Wollte man ihr nahelegen zu verschwinden, bevor sie den geliebten Sohn verderben konnte? Sie hob das Kinn, entschlossen, sich mit Unverfrorenheit zu behaupten.
Und irgendwie hatte sie auch Spaß an der Sache. Noch nie war sie in solch einer Situation gewesen. Sie kam sich vor wie eine gefährliche Frau. Ein berauschendes Gefühl.
“Ich hatte keine Ahnung von dem, was geschehen ist, bis Hector mich gestern Abend selbst angerufen hat”, klagte Toms Mutter. “Warum hat mir niemand Bescheid gesagt?” Vorwurfsvoll sah sie Tom an. “Ich hätte mich von einer anderen Krankenschwester vertreten lassen und wäre sofort gekommen.”
“Jetzt ärgere dich nicht, Molly”, redete der Padre beschwichtigend auf sie ein. “Es war nicht nötig, früher zu kommen. Du hättest nichts tun können, außer herumzusitzen und zu warten wie die anderen auch. Es ist viel besser, dass du jetzt hier bist. Und ist es nicht schön, dass Tom seine Freundin mitgebracht hat? So kannst du sie auch gleich kennenlernen.”
Er drehte sich plötzlich um und warf Roxanne einen fröhlichen und wissenden Blick zu.
“Komm zu mir, Mädchen”, sagte er und streckte seine Hand aus und winkte mit einem Finger. Roxanne wurde an Charlton Hestons beeindruckendste Rolle in einem biblischen Mammutwerk erinnert. Auch dieser Mann könnte das Rote Meer mit einem Fingerschnalzen teilen, selbst von seinem Krankenhausbett aus. “Ich möchte dich ansehen.”
Roxanne durchquerte das Zimmer und legte seine Hand in ihre. Sein Griff war warm und fest. “Willst du uns nicht miteinander bekannt machen?”, sagte er zu Tom, ohne den Blick von Roxanne zu wenden.
Sie hielt diesem Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken, genau wie an jenem Abend, als sie Tom im Ed Earl’s in Lubbock kennenlernte. Sie hatte das Kinn gehoben, die Augen drückten stumme Herausforderung und Mut aus. Auf keinen Fall würden sie ihren Angstschweiß sehen.
Der Padre lächelte beifällig.
Und Tom konnte seinen Stolz nicht verbergen. “Mom. Padre. Darf ich euch Roxy Archer vorstellen? Roxy, das ist meine Mutter, Molly Steele. Und das ist …” Auch hier war sein Stolz unverkennbar. “… Hector Menendez. Besser bekannt
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