Zur Strecke gebracht: Die spannende Jagd nach dem Täter (German Edition)
nervös und unsystematisch begann, in dem Haufen zu wühlen, sah Baumwerk
sich in dem kargen Raum um. Außer dem Sekretär gab es noch einen kleinen, dunklen
Holztisch, an dem zwei Stühle mit verschossenem, abgewetztem Bezug standen, vor
der Tür zum Garten wartete ein Schaukelstuhl auf einen Gast, dessen Bespannung an
mehreren Stellen gerissen war, der Teppich davor schien fleckig und abgetreten,
vom ursprünglichen Muster konnte man nicht mehr viel entdecken. Vor dem Fenster
hingen Stores, die offensichtlich seit vielen Jahren nicht mehr gewaschen worden
waren. Mehr Mobiliar war nicht vorhanden. Baumwerk fühlte sich unbehaglich.
Marianne
wimmerte unglücklich. »Ich muss ihn verloren haben«, ließ sie ihn wissen und eilte
an den Herd zurück, um den Eintopf vor dem Ansetzen zu bewahren. Danach schwieg
sie, antwortete auf keine weitere Frage mehr, blieb nur eisern bei ihrer Aussage,
ihre Mutter sei in Kanada.
Nach einer
Weile gab Baumwerk auf und fuhr in sein Büro zurück. Seiner Meinung nach gab es
keinen Interpretationsspielraum das Schicksal der alten Frau Gräbert betreffend.
Sie war tot, die Tochter hatte sie verschwinden lassen und erfreute sich an den
Rentenzahlungen, die sie nun ganz für sich allein verbrauchen konnte. So recht wollte
zu dieser Theorie allerdings der Eindruck nicht passen, den er von den Lebensumständen
der Marianne Gräbert gewonnen hatte. Ärmlich erschien ihm die Einrichtung, die Tochter
verwirrt, vielleicht auf dem Weg in die Demenz, sicher nicht damit beschäftigt,
sich einen unbeschwerten und luxuriösen Lebensabend zu gönnen. Dennoch: Martha Gräbert
war tot, daran konnte es keinen vernünftigen Zweifel geben. Die Geschichte mit dem
Aufenthalt in Kanada? Ein Märchen, das ihn ablenken sollte. Eine 107-Jährige flog
doch nicht ohne Begleitung eine solche Strecke! Niemals.
Was tun?
Der Verdacht
auf Betrug der Sozialsysteme war keinesfalls ausgeräumt – jetzt kam noch das ungeklärte
Verschwinden der Mutter hinzu. Hatte Marianne Gräbert ihre Mutter irgendwo auf diesem
unübersichtlichen Grundstück einfach verscharrt? Möglicherweise gar getötet, ehe
sie die Leiche verschwinden ließ? Auszuschließen war in diesem Fall gar nichts!
An dieser Stelle schaltete Kai Baumwerk die Polizei ein.
So kam es, dass schon am nächsten
Tag ein Beamter der Kriminalpolizei bei Marianne Gräbert schellte. Der große, bullige
Mann machte der alten Dame offenkundig Angst, sie wirkte gehetzt und unsicher.
»Schäfer
mein Name!«, stellte sich der Riese vor. »Roger Schäfer, Kriminalpolizei.« Er lächelte
vertrauensbildend.
»Ja?«
»Wir hätten
gern mit Ihrer Mutter gesprochen.«
Marianne
Gräbert antwortete in fragendem Ton, als wisse sie es selbst plötzlich nicht mehr
so recht: »Sie ist in Kanada?«
»Das haben
Sie dem Herrn von der Versicherung gestern auch erzählt. Wir möchten nun wissen,
wo genau sich Ihre Mutter aufhält.« Schäfer bemühte sich um einen neutralen Ton.
Noch gab es nicht den geringsten Beweis für das Vorliegen einer Straftat.
»Der Zettel
ist weg. Mein Gedächtnis lässt mich manchmal im Stich, ich weiß nicht mehr, wie
der Ort heißt.«
»Meldet
sie sich ab und zu bei Ihnen, damit Sie wissen, dass es ihr gut geht?«
»Sie wollte
schreiben. Aber die Post von dort hierher ist lang unterwegs«, lächelte die Tochter
nachsichtig.
»Machen
Sie sich keine Sorgen?«, erkundigte sich Schäfer freundlich.
»Aber nein.
Um meine Mutter braucht sich niemand Gedanken zu machen.«
Marianne
Gräbert bat den netten Herrn von der Polizei ins Haus, kochte Tee, stellte ein paar
Kekse auf den kleinen Tisch im Wohnzimmer, platzierte ihren Gast so, dass er in
den Garten hinaus sehen konnte, der hinter den staubigen Stores freilich nur zu
erahnen war.
»Ist ziemlich
einsam hier.«
»Ich bin
daran gewöhnt«, erklärte die alte Frau und reichte dem Kriminaloberkommissar die
Zuckerdose.
»Und nun,
wo Ihre Mutter verreist ist, sind Sie ganz allein. Sie ist wohl schon länger fort?«
Die alte
Dame dachte darüber nach. »Ja, ich glaube das stimmt. Seit einiger Zeit jedenfalls«,
antwortete sie schließlich, als sei sie sich dessen nicht ganz sicher.
»Dann kommt
sie bestimmt bald wieder zurück, nicht wahr? Es gibt ja sicher einen Termin für
den Rückflug«, versuchte Schäfer erneut verlässliche Informationen zu bekommen.
»Nein. Oder
vielleicht … Aber ich
weiß es nicht!« Fahrig strichen die knotigen Finger über die schmutzige Kittelschürze,
fuhren über die
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