Zur Strecke gebracht: Die spannende Jagd nach dem Täter (German Edition)
gerade mit den meist älteren Leutchen warm zu werden,
da ruft man mich zu einem Notfall. Als ich ankomme, finde ich einen hochbetagten
Mann, der so unter Sauerstoffmangel leidet, dass er praktisch am ganzen Körper blau
geworden ist. Ehefrau und Tochter sind in heller Aufregung. Der alte Herr habe von
der Suppe gegessen und plötzlich sei ihm die Luft weggeblieben. Was soll ich sagen?
Noch während ich versuche, ihn zu beatmen und abzusaugen, stirbt der Greis. Großes
Geschrei, Tränen, Anschuldigungen. Es hat mich Monate harter Arbeit gekostet, den
anderen Patienten klarzumachen, dass nicht ich an seinem Tod schuld war. Suppe in
der rechten Lunge! Und dass bei vorgeschädigter Lunge und Herzinsuffizienz. Das
konnte er in seinem Alter nicht überleben.« Er grinste schief. »Mein Onkel überlegte
gar, aus dem Ruhestand zurückzukehren. Toll, sagte er damals, erst übernimmst du
meine Praxis und dann rottest du die Patienten aus! Säg mal nicht den Ast ab, auf
dem dein Konto geführt wird!«
»Sie stellten
den Totenschein aus.«
»Ja. Selbstverständlich.
Er wurde nicht obduziert – die Staatsanwaltschaft sah keinen
Grund, bei den medizinischen Vorbefunden. Drei Tage später konnte er bestattet werden.
Ich bin hingegangen, als Demonstration meines reinen Gewissens, Sie verstehen schon.«
»Wissen
Sie noch, wann genau das war?«
»Ja. Am
5. Februar 1981. Es war eisig kalt, stürmisch. Die Grube auf dem Friedhof auszuheben,
muss eine echte Herausforderung für die Totengräber gewesen sein.«
Schäfer
nickte dem Arzt zum Abschied zu. Wenn der Vater tatsächlich tot und bestattet war – log Marianne Gräbert dann oder
wusste sie es nicht besser, konnte sich nicht erinnern, lebte längst nicht mehr
in dieser Welt? Sollte er auf eine Exhumierung bestehen, überlegte er, nur um ganz
sicherzugehen? Nein, verwarf er diesen Gedanken sofort, das war nicht sinnvoll und
teuer würde es auch, ganz abgesehen von der unerwünschten Aufmerksamkeit, die es
erregen würde.
Der Arzt
hatte den Tod bestätigt, Marianne sich die Geschichte mit den Steinen nur ausgedacht.
Aber warum? Weil sie sich wünschte, er wäre noch am Leben? Die Frage nach dem Verbleib
von Martha Gräbert war die, die er beantworten musste.
Marianne Gräbert zu befragen, erschien
zunehmend sinnlos. Durch ihre rapide fortschreitende Demenz war sie als Gefangene
ihrer wirren Gedankenwelt kaum zu einer sinnvollen Antwort in der Lage. Die Pflegekräfte
des Heimes, in dem sie nun wohnte, berichteten übereinstimmend, die über 80-Jährige
behaupte anderen gegenüber immer wieder, die Mutter sei nach Kanada gereist. Manchmal
jedoch jammere sie, sie sei eine gute Tochter, habe alle Wünsche erfüllt. Die Mutter
habe keinen Grund, böse auf sie zu sein.
Gelegentlich
kam sie in Gesprächen auch auf die Geschichte von den Steinen im Sarg des Vaters
zurück. Es sei der ausdrückliche Wunsch der Mutter gewesen, so zu verfahren, sie
habe nur getan, worum sie gebeten wurde. Wie eigentlich immer in ihrem Leben.
Die Ermittlung
drehte sich im Kreis, drohte, sich festzufahren. Das letzte Gespräch mit seinem
Vorgesetzten war für Schäfer eher unerfreulich verlaufen. Man erwarte konkrete Ergebnisse,
es könne doch nicht so schwierig sein, den Verbleib der alten Frau zu klären, ob
er schon bemerkt habe, dass er jeden Morgen genügend Anregungen dazu in der Boulevardpresse
finden könne?
»Na, hat
er dich wieder angemeiert?«, fragte ein Kollege mitfühlend, den er auf dem Gang
traf. Das ›Gespräch‹ war demnach auf den Fluren gut zu hören gewesen. Peinlich!
So eine Zurechtweisung sollte er in Zukunft besser vermeiden, wollte er seiner Karriere
nicht ernsthaft schaden.
Als das
Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte, schrak er zusammen. Konrad Kunze aus
dem Labor. Die von Schäfer in Auftrag gegebenen Untersuchungen am Teppich zum Fall
Gräbert führten zum Ergebnis, es sei sehr wahrscheinlich, dass an jener Stelle ein
toter Körper längere Zeit gelegen habe. Die Freisetzung von Körperflüssigkeiten
habe eine Vielzahl von Insekten angelockt. Die ins Gewebe gesickerten Substanzen,
die beim Verwesungsprozess entstünden, bildeten über einen langen Zeitraum Ernährungsgrundlage
für Maden und Larven der verschiedensten Fliegen- und Käferarten. Im Laufe der Jahre
wurden alle Rückstände restlos vertilgt, was zum Verlust der Wollstruktur in Form
einer Körperkontur geführt hatte. Ob der Tod natürliche Ursachen oder Folge eines
Mordanschlages war, könne man
Weitere Kostenlose Bücher