Zur Strecke gebracht: Die spannende Jagd nach dem Täter (German Edition)
denn
schon mal ein Auto von einem Pflegedienst aufgefallen?«
Das runde
Gesicht wurde nachdenklich. »Nein«, antwortete die Nachbarin dann gedehnt. »Aber
das ist auch nicht wirklich überraschend. Martha ist eine resolute, etwas schwierige
Persönlichkeit. Sicher duldet sie nicht, dass ein Fremder sie anfasst. Ach, wir
können alle nur hoffen, dass uns so ein Schicksal später mal erspart bleibt«, seufzte
sie dann. »Auf die eigenen Kinder ist jedenfalls überhaupt kein Verlass mehr! In
alle Winde verstreut, niemand hat Zeit oder Lust, sich um die alten Eltern zu kümmern.
Eine Schande!«
Ja, dachte
Kai, das sollte sich Bärbel mal überlegen! Erst zog man die Brut groß und dann,
wenn man selbst Hilfe brauchte, starb man einsam oder in der Obhut Fremder, wurde
im schlimmsten Fall von der Polizei gefunden, die die Tür wegen des Gestanks aus
der Wohnung aufbrach. Schuldbewusst dachte er an seine eigene Mutter, versuchte
zu überschlagen, wann er sie das letzte Mal besucht hatte. Na ja, mit dem Enkelkind
würden auch die Fahrten zur Großmutter an Häufigkeit zunehmen, und telefoniert hatte
er ja erst letzte – nein,
korrigierte er sich ein wenig erschrocken – vorvorletzte Woche mit ihr.
Kai Baumwerk
bedankte sich freundlich. Im Geiste hörte er die Stimme seines Chefs, der in solchen
Fällen besonders gereizt reagierte. Sozialbetrug! So etwas nahm Dr. Hubert Ring den Tätern persönlich
übel – und seinen
Mitarbeitern ebenfalls. Er sprach dann gern von Köpfen, die in Kürze rollen würden.
Nun, Kai Baumwerk schluckte hart und lockerte den Kragen ein wenig, seiner Karriere
konnte es nur förderlich sein, wenn er diese gottverdammte Schlamperei hier aufklärte
und das Geld wiederbeschaffte. Er spürte fast schon die schwere, warme Hand des
Vorgesetzten wohlwollend auf seiner Schulter ruhen. ›Baumwerk, das haben Sie fantastisch
gelöst. Für fähige Mitarbeiter Ihres Kalibers finden wir zeitnah eine angemessene
Stelle im »Konzern«. Hätten Sie irgendwelche Präferenzen?‹, hörte er ihn sagen und
ihm brach schon jetzt vor Stolz der Schweiß aus.
Frau Lehmann,
Nachbarin auf der anderen Seite der Gräberts, wusste Ähnliches über die beiden alten
Damen zu berichten. »Die Martha muss ja inzwischen über 100 sein. Die habe ich schon
seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Ich sag immer: Von der hören wir erst wieder
etwas, wenn sie beerdigt wird!«
»Kommen
denn die Frauen gut miteinander aus? Ich meine, manchmal sind Menschen in diesem
Alter schwierig. Vielleicht streiten sie gelegentlich?«
Frau Lehmann
dachte lange darüber nach, schüttelte dann jedoch entschieden den Kopf. »Von den
Mannteufels höre ich oft laute Stimmen. Aber das ist auch klar, der Mann geht dauernd
fremd und seine Frau ist darüber natürlich nicht glücklich. Da gibt’s permanent
Streit. Die Meyers zanken ständig. Da geht’s ums Geld. Er ist so unglaublich geizig
und sie würde gern das Leben genießen. Tja! Bei den Strunzes gibt’s viel Ärger wegen
der Tochter. Die ist in der Pubertät und sorgt für anhaltende Schwierigkeiten. Neulich
hat eine Polizeistreife das Gör nach Hause gebracht – Ladendiebstahl! Dabei hat die
mehr Taschengeld als manch einer Rente!«
»Können
Sie sich an den letzten lauten Wortwechsel zwischen den Gräberts erinnern?«, erkundigte
sich Baumwerk gespannt.
»Hm, das
ist eine Ewigkeit her. Die beiden scheinen sich die meiste Zeit über völlig einig
zu sein. Warten Sie mal … Das muss kurz nach dem Tod des alten Gräbert gewesen sein. Ich weiß
noch, dass mir das unglaublich pietätlos vorkam, in der Trauerzeit derart heftig
rumzukeifen. Ja! Da ging es um die Frage, wo Martha später einmal beigesetzt werden
sollte«, sie lächelte entschuldigend. »Die Tür zum Garten stand offen, da lässt
sich nicht immer vermeiden, dass man die Gespräche der Nachbarn hört, und wenn man
sich noch so bemüht, nichts mitzubekommen.«
Baumwerk
signalisierte Verständnis für dieses Problem. »Wie unangenehm, wenn man immer unfreiwillig
in die privatesten Angelegenheiten reingezogen wird.«
»Nun, jedenfalls
wollte Martha auf keinen Fall auf dem Friedhof gegenüber beerdigt werden. Schien
ihr wichtig zu sein. Dabei liegen ihr Gustav und die drei anderen Kinder ja auch
dort. Eigentlich schrecklich, wenn eine Mutter die meisten ihrer Kinder zu Grabe
tragen muss. Schlag auf Schlag sind die gestorben. Der Sohn an der Grippe, der muss
damals gerade dreißig gewesen sein, und zwei der Töchter an Typhus, alle drei
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