Zurueck in die Nacht
möglich von
meinem Sitznachbarn weg. Dabei schielte ich unauffällig (wie ich hoffte) durch
die Dunkelheit zu ihm herüber.
Zunächst
erkannte ich nicht viel, außer, dass es sich eindeutig um ein männliches und
offenbar etwa gleichaltriges Exemplar handelte. Das trug nicht gerade zu meiner
Beruhigung bei, denn mit Jungs meines Alters hatte ich noch nie gute
Erfahrungen gemacht – von Arik natürlich abgesehen, zumindest kurzfristig. Aber
eigentlich, wenn ich es recht betrachtete – nein, auch Arik hatte letzten Endes
meinen schlechten Eindruck vom männlichen Geschlecht nur bestätigt, auch wenn
es zunächst so ausgesehen hatte, als sei er eine Ausnahme. Aber gerade deswegen
war sein Verrat am Ende nur umso niederträchtiger.
Über meine
Gedanken hatte ich ganz vergessen, mich unauffällig zu verhalten, und den
Fremden offen angestarrt, was mir aber leider erst auffiel, als auf der
Leinwand der nächste Wagen Feuer fing und es deswegen im ganzen Zuschauerraum
auf einmal unerwartet hell wurde. Und ich plötzlich zu meiner übergroßen
Verlegenheit direkt in die strahlend blauen Augen meines Nachbarn blickte.
Augen, die selbst hier im schummrigen Dämmerlicht regelrecht zu leuchten
schienen. Beziehungsweise mich zu durch leuchten schienen. Ich zuckte
erschreckt zusammen und hatte auf einmal das Gefühl, mein Herz klopfte so laut,
dass jeder – und vor allem er – es hören musste. Denn gleichzeitig mit diesen
unglaublich blauen Augen hatte ich auch den Rest meines Gegenübers erkannt: die
dunkle Haut und die blonden, kurzen, hochstehenden Haare. Kurz gesagt, der
Unbekannte, der so plötzlich neben mir aufgetaucht war, war der Junge vom
Schulzaun. Ariks umgekehrter Doppelgänger.
Hatte ich schon
vorher so gut wie nichts von dem Film mitgekriegt, so war es jetzt
Nullkommanichts. Zwar starrte ich nach unserem peinlichen Blickkontakt so stur
auf die Leinwand, dass ich morgen bestimmt Nackenschmerzen haben würde, aber
ansonsten war ich mit all meinen Sinnen auf dem Platz neben mir. Was um Himmels
willen machte er hier? War er wirklich rein zufällig so unerwartet neben mir
aufgetaucht? Hatte ich mir doch nicht nur eingebildet, dass er mir schon
mehrfach über den Weg gelaufen war? Aber warum hätte er das tun sollen? Und
woher hätte er wissen können, dass ich heute hier war? Das entsprach nun
wirklich nicht meinem normalen Verhaltensmuster. Aber wenn es nur Zufall war
und er tatsächlich auf blöde Autorennfilme stand, warum saß er dann ausgerechnet
neben mir, wenn doch das ganze Kino so gut wie leer war und es sehr viel
bessere Plätze gab? Wie ich es auch drehte und wendete, irgendetwas war faul an
der Sache. Aber was das sein könnte – wenn man mal von meiner
Kriminellen-Theorie absah (und danach sah er nun auch wieder nicht aus) –
darauf konnte ich mir beim besten Willen keinen Reim machen.
Wie es aussah,
hatte ich mir sein Interesse jedoch tatsächlich nur eingebildet, denn kaum war
der Film zu Ende und die Lichter gingen an, war er nicht mehr da. Er musste das
Kino geradezu fluchtartig verlassen haben, während ich unter dem Sitz nach
meiner Jacke und meinem Rucksack gekramt hatte, anders konnte ich mir sein
plötzliches Verschwinden nicht erklären. Unvernünftigerweise verspürte ich fast
so etwas wie Enttäuschung.
Ich schlich noch
niedergeschlagener als bei meiner Ankunft (sofern das überhaupt möglich war) aus
dem Kino und zur nahegelegenen Bushaltestelle. Dabei achtete ich nicht wirklich
darauf, wohin ich meine Füße setzte, und so stieß ich ganz plötzlich gegen ein
Hindernis.
„Au! Verdammt!“,
murmelte ich und rieb mir die Stirn. Und zuckte dann entsetzt zusammen, als das
Hindernis mir plötzlich antwortete.
„Tut mir leid,
war keine Absicht.“
Mein Kopf ruckte
hoch, und da stand er, keine zehn Zentimeter von mir entfernt. Mein unbekannter
Verfolger mit den unmöglichen Augen. Wirklich, wer hatte schon jemals einen
Menschen mit dunkler Haut und strahlend blauen Augen gesehen? Die Haare waren
ja schon extrem genug, aber die Augen – das konnten ja nur Kontaktlinsen sein. Offenbar
ziemlich eitel, dieser Typ. Er war nur etwa einen halben Kopf größer als ich,
was für einen Jungen wirklich klein bedeutete, und recht schmal. Noch dazu trug
er ziemlich auffällige Klamotten – künstlich zerrissene Jeans, ein hautenges
pink T-Shirt und eine mit Nieten besetzte schwarze Lederjacke, die vorne
offenstand. Alles in allem ganz und gar nicht mein Typ. Und nun, aus der Nähe
betrachtet,
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