Zurueck in die Nacht
nicht nach Schottland gegangen war – gehen
würde – hatte er mich auch nicht kennengelernt. Genauso wenig wie Arik. Und
würde mir so auch nicht helfen können, ihn wiederzufinden.
Frustriert legte
ich auf und stellte mir dabei vor, wie Mike am anderen Ende der Leitung den
Kopf schüttelte über die Verrückte, die ihn gerade angerufen hatte. Ziemlich
seltsam, ihn mir so gut vorstellen zu können, ohne dass er eine Ahnung hatte,
wer ich war. Und ich fragte mich auf einmal, ob dieser Mike jemals seinen
Bruder – und seine Fähigkeiten – kennenlernen würde. Und wie es wohl dem Mike
ging, den ich kannte. Ob er überhaupt noch existierte?
Nachdem mir klar
wurde, dass Arik wirklich spurlos und ohne eine Chance, ihn wiederzufinden,
wenn er nicht gefunden werden wollte, aus meinem Leben verschwunden war,
versank ich endgültig in Düsternis. Auch wenn sich mein Leben rein äußerlich
nicht im Geringsten von dem unterschied, das ich noch wenige Wochen zuvor –
bevor ich ihm begegnet war – geführt hatte, so fühlte es sich doch
hundertprozentig anders an. Denn vorher war ich einsam gewesen, ohne etwas
anderes zu erwarten. Jetzt jedoch hatte ich den Himmel kennengelernt, und die
Verbannung aus eben diesem war einfach unerträglich.
Ich wurde
unerträglich. Meine Stimmung schwankte ständig zwischen tiefster Trauer über
den Verlust meiner großen Liebe, heftiger Wut auf diesen Mistkerl, der mich
einfach ohne ein Wort sitzengelassen hatte, Selbstmitleid wegen der
Ungerechtigkeit der Welt, die mir nicht einmal etwas Glück gönnte, und der
immer wieder plötzlich auftauchenden Angst, dass er gar nicht beabsichtigt
hatte, mich zu verlassen, sondern dass ihn irgendetwas davon abhielt,
wiederzukommen. Dass ihm etwas zugestoßen war. Je länger die Zeit ohne ihn
dauerte, desto stärker wurden meine Gefühle, und vor allem meine Angst um ihn
wuchs. Ich zerbrach mir mehr und mehr den Kopf, ob ich wirklich alles getan
hatte, um ihn wiederzufinden. Oder ob es nicht doch noch eine Möglichkeit gab,
die ich übersehen hatte. Und dann hatte ich den Geistesblitz. Natürlich gab es
da noch etwas. Die eine Instanz, die Antworten auf alle Fragen dieser Welt
hatte, und seien sie auch noch so verwirrend. Dass ich da nicht eher drauf
gekommen war! Ich brauchte das Internet.
Bisher hatte ich
Bücher vorgezogen, aber nun wurde ich ein echter Freak. Kaum war ich zu Hause,
verkroch ich mich in meinem Zimmer, öffnete meinen Laptop und tauchte ein ins
weltweite Netz. Ich suchte nach Antworten. Und fand viele. Denn ganz offenbar
war ich bei weitem nicht die einzige, die sich für Schottland, Zeitreisen und
Zeitreisende interessierte. Und auch nicht die einzige, die glaubte, schon
einmal einem solchen begegnet zu sein. Natürlich war mir klar, dass sich im
Netz eine ganze Menge Spinner tummelten. Wahrscheinlich konnte man mindestens
90 Prozent der Zeitreise-„Experten“ als solche bezeichnen. Aber es waren die
restlichen 10 Prozent, die mich faszinierten. Denn sie schilderten Erfahrungen,
die den meinen so ähnlich waren, dass sie einfach nicht erfunden sein konnten.
Bei ihnen suchte ich Trost und fand vor allem Verständnis. Wenn ich nach der
Schule nach Hause kam, nahm ich mir kaum die Zeit, etwas zu essen oder zu
trinken (für die Hausaufgaben sowieso nicht), sondern klinkte mich sofort ins
Internet ein. Doch nach zwei Wochen ununterbrochener Netzpräsenz fand ich auch
dort kaum noch etwas Neues. Nur die besorgten Fragen meiner neuen Bekannten.
Fallen: Hallo
Clarissa, News vom Verlorenen?
Clarissa: Nein.
Fairie: Idiot!
Vergiss ihn!
Fallen: Selber
Idiot!
Himmelsstürmer: Zeit ist relativ. Er ist ganz in deiner Nähe.
Fairie: Träum
weiter. Der hat dich längst abgeschrieben. Wer weiß, wo der ist.
Clarissa: Wie kann ich ihn finden?
Himmelsstürmer: Er findet dich, wenn die Zeit reif ist.
Fairie: Noch
ein Spruch…
Himmelsstürmer: „Es gibt für alles eine Zeit…“
Fairie: Mir
wird gleich schlecht.
Fallen: Frag
am besten einen Zeitreisenden!
Clarissa: Würde ich ja gerne…
Fallen: Halt
einfach die Augen auf, dann findet er dich schon.
Clarissa: ???
Fairie: Jetzt
fängt der auch noch an. Mir reicht’s. Pass auf dich auf, C.
Aber auf meine
brennendsten Fragen wussten auch sie keine Antwort: Wo war Arik? Wer war er?
Und warum kam er nicht zurück?
Weitere Wochen
vergingen, ohne dass sich irgendetwas tat. Arik blieb verschwunden, ich lebte
im Internet, meine Tage waren so finster wie meine Nächte. Wenn ich
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