Zurueck in die Nacht
auch überhaupt nicht wie Arik.
„Hast du dir weh
getan?“ Die sanfte, volle Stimme, die so gar nicht zu seinem Äußeren zu passen
schien, riss mich aus meiner Betrachtung, und als mir bewusst wurde, dass ich
ihn schon wieder wie ein Schaf angestarrt hatte, wurde ich noch verlegener.
„Nein“, murmelte
ich, „schon gut. Nichts passiert. Ich hab nicht aufgepasst. Tut mir leid.“
Er sah mich
immer noch mit diesen beunruhigenden Augen an. Langsam könnte er das wirklich
mal lassen! Dafür brauchte man ja einen Waffenschein! Ich merkte, wie ich immer
zappeliger wurde – und zu meinem Schrecken feststellte, dass ich das nicht unangenehm,
sondern fast angenehm fand.
„Äh – ich muss
dann mal. Mein Bus kommt gleich.“
Ein schwacher
Versuch, der ihn nicht besonders zu beeindrucken schien. „Bist du etwa ganz
allein hier im Dunkeln unterwegs?“ Er klang ehrlich besorgt. Dabei war er doch derjenige, der mir hier mit irgendwelchen finsteren Absichten (Denn was
für welche sollten es sonst sein?) im Dunkeln aufgelauert hatte.
Ein kleiner Rest
gesunder Menschenverstand flehte mich an, dass ich mich schnellstens vor ihm in
Sicherheit bringen und ja nicht die Wahrheit sagen sollte, aber wie gewöhnlich ignorierte
ich ihn. „Ja. Aber das macht nichts. Das bin ich gewöhnt. Und der Bus kommt ja
gleich.“
Geht’s noch,
Clarissa?, schrie mein Selbsterhaltungstrieb. Sag ihm doch gleich, dass
er auf der Stelle über dich herfallen kann!
Ich hörte nicht
hin. Seine Stimme klang viel beruhigender. „Ich begleite dich.“ Keine
Frage, sondern eine Feststellung. Und ich dummes Schaf nickte nur und setzte
mich an seiner Seite mit weichen Knien wieder in Bewegung.
Während wir
(zumindest äußerlich) einträchtig nebeneinander her trotteten, haderte ich
innerlich mit meinen widerstreitenden Gefühlen, die ich überhaupt nicht
verstand. Was ließ mich in der Nähe dieses Unbekannten nur so unlogisch werden?
Hatte ich nicht schon genug in meinem Leben, was mich durcheinander brachte?
Brauchte ich wirklich noch einen rätselhaften Jungen? Warum ließ ich ihn nicht
einfach stehen? Aber so sehr mir mein Verstand auch dazu riet, so wenig war ich
dazu in der Lage. In der Nähe dieses Fremden fühlte ich mich zum ersten Mal
seit Wochen wieder lebendig. Er brachte irgendetwas in mir zum Klingen, das
seit Ariks Abgang verstummt gewesen war. Aber diese Saite klang ganz anders als
vorher. Während sie in Ariks Nähe stets in den höchsten Tönen jubiliert und ihr
Schweigen in seiner Abwesenheit umso lauter in meinen Ohren gedröhnt hatte,
klang sie nun wie eine ganz leise, sanfte Melodie. Nichts, was alles in mir zum
Jubeln brachte, sondern eher die Melodie aus einem Traum, an die man sich, wenn
man erwacht war, nur noch schwach erinnerte und es bedauerte, dass auch diese
Erinnerung bald verstummen würde.
Als der Bus kam,
verabschiedete sich mein Begleiter mit den Worten: „Bis bald! War nett, dich getroffen
zu haben. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.“ Und während er langsam in
der Dunkelheit verschwand, ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass das
wirklich schön wäre.
Es dauerte ein
paar Tage, in denen ich zu meinem Schrecken anfing, immer öfter an den Fremden
zu denken und immer seltener an Arik. Wechselweise fühlte ich mich dann
schuldbewusst (War ich tatsächlich so unbeständig, dass ich meinen Freund
sofort vergaß, wenn ein anderer Junge in meiner Nähe auftauchte?) ,
triumphierend (Ha, geschieht ihm recht, diesem untreuen, unzuverlässigen
Idioten, der mich einfach im Stich gelassen hat!) oder einfach nur verwirrt (Was stimmte mit mir nicht, dass ich immer nur die Aufmerksamkeit der
verrücktesten Typen erregte ?). Am Ende jedoch versuchte ich stets, mich zur
Vernunft zu bringen, indem ich mich darauf hinwies, dass es überhaupt keinen
Grund gab, anzunehmen, dass ich den Fremden jemals wiedersehen würde. Nur weil
ich ihm zweimal begegnet war und er sich wider Erwarten als Kavalier
herausgestellt hatte, hieß das noch längst nicht, dass dies noch ein drittes
Mal passieren würde. Wahrscheinlich hatte er einfach nur höflich sein wollen
und das war’s. Also bemühte ich mich, mir jeden Gedanken an irgendeinen Jungen
möglichst aus dem Kopf zu schlagen. Und so hatte die ganze Sache am Ende doch
ein Gutes: Ich fing endlich wieder an, mich auch für andere Dinge zu
interessieren.
Zumindest meinen
Schulnoten tat das mit Sicherheit gut. So schlecht wie seit den Osterferien war
ich noch nie gewesen. Ich
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