Zurueck in die Nacht
wirkte erleichtert. Wahrscheinlich war sie einfach froh, dass sie
sich nicht länger mit ihrer schwierigen Tochter beschäftigen musste. „Dann viel
Spaß!“, rief sie mir hinterher, während ich mich in Richtung Wohnungstür
bewegte. Und das war’s. Kein „Wann kommst du denn nach Hause?“ oder „Pass auf
dich auf!“. Sie wandte sich ab und verschwand im Wohnzimmer. Und ich hätte
wetten können, dass sie mich schon wieder vergessen hatte.
Erst als ich unten
vor der Tür stand, begann ich mich zu fragen, wo ich überhaupt hin wollte. Es
war später Nachmittag, und in Kirchdorf gab es um diese Zeit an einem
stinknormalen Wochentag nicht gerade viele Möglichkeiten, seine Zeit zu
verbringen, wenn man nicht in einem der drei Supermärkte an den Regalen entlang
schlendern oder mit der Dorfjugend auf dem Marktplatz abhängen wollte.
Alternativ hätte ich natürlich auch noch eine der fünf Kneipen besuchen und
mich zu den Alkoholikern an die Theke setzen können. Wer weiß, vielleicht
hätten sie ja einen guten Tipp, was ich mit meinem weiteren Leben anfangen sollte.
Viel mehr fiel mir in punkto Freizeitgestaltung leider nicht ein. Und so
beschloss ich, als ich an einer Bushaltestelle vorbeikam und von hinten das
unverkennbare Brummen hörte, spontan, nach Steinheim, unserer etwa eine halbe
Stunde entfernten Kreisstadt, zu fahren. Dort war zwar auch nicht gerade der
Nabel der Welt, aber zumindest gab es ein Kino, und vielleicht lief ja zufällig
irgendein Film, der in der Lage war, mich vorübergehend von meinem Elend
abzulenken und mir die Zeit so lange zu vertreiben, bis ich gefahrlos wieder
nach Hause zurückkehren konnte. Ich war kein allzu großer Filmfan – Bücher fand
ich viel spannender, und vor allem praktischer, weil man sie überall und zu
jeder Zeit lesen konnte – aber ab und zu wusste ich auch einen guten Film
durchaus zu schätzen.
Es lief nur
leider gerade keiner. Da es sich bei dem Kino nicht um einen der großen,
modernen Filmpaläste handelte, sondern um ein Relikt fast noch aus der
Stummfilmzeit, das unter steter Geldnot litt, weil die Besucherzahlen nicht
gerade üppig waren, war auch die Auswahl entsprechend eingeschränkt. Es liefen
immer nur Filme, die in allen anderen Kinos bereits vor mindestens einem halben
Jahr gelaufen und entsprechend billig in der Ausleihe waren, und leider hatte
der zuständige Kinomanager einen ziemlich eigenartigen Geschmack. Deswegen
konnte ich mich an diesem Abend zwischen einem japanischen Zeichentrickfilm,
von dem ich noch nie etwas gehört hatte, einem Actionfilm à la „Verrückte auf
vier Rädern“ und einer schon auf dem Filmplakat hohl wirkenden
Highschool-Liebeskomödie entscheiden. Mit anderen Worten, ein Film war noch
schlimmer als der andere. Da ich jedoch weder Lust hatte, allein durch die
abendlichen Straßen zu irren, noch, meiner Mutter und ihrem prüfenden Blick so
bald wieder unter die Augen zu treten, entschied ich mich schließlich
notgedrungen für die verrückten Raser. Zeichentrickfilme hatte ich noch nicht
mal als Kind gemocht, und für eine Liebesgeschichte – und sei sie auch noch so
blöd – waren meine Nerven zurzeit einfach nicht stark genug.
Das Gute an
diesem Kino war: Da es kaum Besucher hatte, konnte ich mir meinen Platz frei
aussuchen, und die Werbung beschränkte sich auf ein absolutes Minimum. Danach
ging es direkt mit der ersten Verfolgungsjagd los, in der gleich drei Autos zu
Schrott gefahren wurden und sich natürlich pflichtgemäß überschlugen, in
Flammen aufgingen und schließlich noch explodierten. Schicksalsergeben sank ich
tiefer in meinen Sitz, schloss die Augen und versuchte, das nervtötende
Motorengebrumm möglichst auszublenden.
Ich wurde erst
wieder auf meine Umgebung aufmerksam, als ich auf einmal spürte, dass sich
jemand neben mich setzte. Sofort verkrampfte sich alles in mir. Das konnte doch
wohl nicht wahr sein. Da gab es ein ganzes Kino voller leerer Plätze, und
irgendein Idiot suchte sich ausgerechnet den neben mir aus? Am äußersten Rand
der Reihe? Das konnte nichts Gutes bedeuten. Eigentlich gab es nur drei
Möglichkeiten: Der Unbekannte kannte mich und wollte sich meiner Gesellschaft
erfreuen (sehr unwahrscheinlich), oder er kannte mich nicht und wollte sich
trotzdem meiner Gesellschaft erfreuen (auch nicht wahrscheinlicher), oder er
wollte die Dunkelheit für irgendeine Übeltat nutzen. Da Möglichkeiten 1 und 2 praktisch
ausfielen, versteifte ich mich noch mehr und rückte so weit wie
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