Zurueck in die Nacht
nicht
zurückkehren und mich befreien können, bevor die Wächter mich töteten. Es war
ganz hier in der Nähe…
Auf einmal kommt
mir ein Gedanke, direkt aus der Tiefe von Clarissas Augen. Was, wenn es gar
nicht allein die Fischer waren, die sie gerettet haben? Was, wenn da noch
jemand war? Würde das nicht genau zu ihr passen?
Ich springe auf
und renne zu dem Motorrad zurück, das ein Stück hinter mir im Sand liegt. Ich
muss an die genaue Stelle zurück, wo der Überfall der Wächter stattgefunden
hat. Auch, wenn der nun natürlich gar nicht stattfinden wird. Denn dadurch,
dass Clarissa in der jetzigen Gegenwart nicht nach Schottland gekommen ist,
sondern wir uns in Deutschland kennengelernt haben, haben ja auch die Wächter
keinerlei Grund, mit ihr hierher zu fahren und mit uns zu kämpfen. Also sind
sie hoffentlich, so wie Clarissa, weit, weit weg. Trotzdem beschließe ich,
vorsichtig zu sein.
Es dauert nicht
sehr lange, und ich biege wieder in den versteckten Pfad auf den Klippen ein.
Es ist Anfang Dezember. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass kein Motorrad
mit Beiwagen hinter den Büschen steht, holpere ich noch ein ganzes Stück weiter
den Pfad entlang, bis zu dem Strand hinunter, an dem wir beim zweiten Mal Mike
wiedergefunden haben, nachdem ich ihn die Klippe hinuntergeschubst hatte. Dort
stelle ich meine Maschine ab und gehe zum Wasser. Und dann warte ich wieder auf
einen Geistesblitz.
Könnte es
wirklich sein, dass Clarissa auf sie getroffen ist? Es gibt wohl nur einen Weg,
das herauszufinden. Ich muss ins Wasser und dort nach ihr suchen. Nur – wie
soll ich das bewerkstelligen? Wäre ich nur der Sohn meiner Mutter, hätte
ich damit kein Problem. Sie und ihresgleichen können sich je nach Bedarf an
jede Umgebung anpassen und sind darüber hinaus praktischerweise auch noch
unsterblich. Aber wäre ich wie sie, dann gäbe es dieses gesamte Problem sowieso
nicht und wir beide würden immer noch glücklich und zufrieden in trauter
Zweisamkeit durch die Zeiten schweifen. Obwohl, wenn ich es recht bedenke –
wenn ich wäre wie sie, gäbe es mich überhaupt nicht. Was wiederum am besten
wäre. Für sie undfür mich. Und ganz bestimmt für Clarissa.
Aber ich bin nun
mal nicht wie sie, sondern auch der Sohn meines Vaters, den ich lange Zeit für
den Urheber all dessen gehalten und deshalb am liebsten umgebracht hätte. Bis
ich Clarissa getroffen und die wahre Natur der menschlichen Liebe erkannt habe.
Dass sie einfach überwältigend und unwiderstehlich ist und selbst Claire wohl
nicht dagegen ankam. Oder gerade sie nicht. Denn die Liebe war für sie schon
immer das Wichtigste. Zumindest, seit ich sie kenne. Und weil ich auch sein Sohn bin, habe ich dieses Problem. Nicht nur das große, das meiner Existenz,
sondern auch mein momentan ganz spezielles. Dass ich meiner Mutter ins Wasser folgen
muss, es aber nicht kann. Zumindest nicht ohne Hilfe.
In Aberdeen
werde ich schließlich fündig, auch wenn mein Wunsch, Anfang Dezember in der
schottischen Nordsee tauchen zu gehen, zunächst mal auf Unverständnis stößt. Es
kostet mich einiges an Überredungskunst und eine nicht unbeträchtliche Menge
Bares (das ich mir nach einem kurzen Blick in die nahe Zukunft in einem
Wettbüro besorgt habe), nicht nur eine Tauchausrüstung zu mieten, sondern auch
den Verleiher zu überreden, mir einen Schnellkurs im Tauchen zu geben und mich
dann allein meinem Schicksal zu überlassen. An seinem Blick sehe ich, dass er
nicht damit rechnet, mich und seine Ausrüstung unbeschadet wiederzusehen. Ich
kann es ihm nicht übelnehmen, denn ich habe da auch so meine Zweifel. Trotzdem
mache ich mich auf den Weg zurück zu den Klippen.
Ich friere
schon, während ich mich meiner Klamotten entledige und dann in den engen
Neoprenanzug quetsche. Die Sauerstoffflaschen sind so schwer, dass ich es nur
mit Mühe verhindern kann, wie ein Käfer auf den Rücken zu fallen, und die
Flossen lassen mich wie ein Seehund herumwatscheln. Ich komme mir ziemlich
lächerlich vor und bin nur froh, dass mich niemand beobachtet. Ich atme noch
einmal tief durch, dann stolpere ich den Strand hinunter ans Wasser. Ich rücke
die Taucherbrille zurecht, zwänge das Mundstück zwischen meine Lippen. Dann
starre ich unentschlossen ins graue, aufgewühlte Meer. Werde ich es wirklich
schaffen, in diese nasse Hölle hinabzutauchen?
Nach mehreren
(zugegeben eher halbherzigen) erfolglosen Versuchen sehe ich ein, dass es so
nicht klappen wird. Nicht nur, weil ich
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