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Zurueck in die Nacht

Zurueck in die Nacht

Titel: Zurueck in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Walter
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Not, mich ein Stück nach oben zu ziehen, und hänge schließlich keuchend,
klitschnass und zu Tode erschöpft, aber lebend, auf dem Felsen. Wie lange ich
brauche, um wieder halbwegs zu Atem zu kommen, weiß ich nicht. Aber ich warte
noch sehr lange und versuche, durch das Tosen der Brandung hinweg auf meine
Umgebung zu lauschen. Ist meine Flucht gelungen? Oder haben die Wächter meinen
Trick durchschaut?
    Nachdem nichts
weiter passiert, als dass meine Zähne anfangen, immer lauter zu klappern, weil
mir immer kälter wird, wage ich es schließlich, meinen Posten zu verlassen. Ich
klettere mühsam von dem Felsen herunter und suche mir dann einen Weg am Fuß der
Klippen entlang zurück in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Irgendwann
wird mir bewusst, dass es langsam wärmer wird und sich der Nebel gelichtet hat.
Als ich kurz darauf einen versteckt zwischen den Klippen liegenden Platz finde,
der dünn von blassem Gras bedeckt ist, merke ich, dass ich todmüde bin. Also
lasse ich mich fallen und bin nach wenigen Sekunden eingeschlafen.
    Als ich wach
werde, steht die Sonne hoch am Himmel und scheint warm auf mich herunter. Meine
Klamotten sind nur noch leicht feucht. Offenbar habe ich mehrere Stunden
geschlafen – und bin immer noch am Leben. Die Wächter scheinen meine Spur tatsächlich
verloren zu haben. Also traue ich mich, zur Straße hoch zu schleichen. Ich
verstecke mich hinter ein paar windschiefen Büschen und warte. Ab und zu fährt
ein Auto an mir vorbei, aber erst beim fünften wage ich es, mich zu zeigen. Ich
halte den Daumen hoch, aber die Fahrerin fährt mit einem Schlenker an mir
vorbei. Das achte Auto hält. Der Fahrer – ein älterer Mann – fragt mich etwas
in einer Sprache, die ich nicht einordnen kann. Aber als ich „Train
Station?“ frage, nickt er und gibt Gas. Die Fahrt dauert nur wenige
Minuten, dann setzt er mich an einem kleinen Bahnhof ab, der sich mitten im
Nichts zu befinden scheint. Der Name auf dem Schild am Bahnsteig sagt mir gar
nichts, aber das ist mir egal. Ich will erstmal nur weg von hier, weg aus der
Nähe der Wächter.
    Meine Weiterreise
verläuft umständlich, aber ereignislos. Von dem kleinen Bahnhof in Frankreich
(denn dort habe ich mich ins Meer gestürzt, wie ich schließlich herausfinde) gelange
ich über Umwege nach Calais und von dort mit der Fähre nach Dover. Natürlich
besitze ich weder Geld noch einen Ausweis, so dass ich mir ständig meinen Weg
um die Kontrolleure herum suchen muss, aber ansonsten passiert nichts. In Dover
stehle ich ein Motorrad, und dann fahre ich schnurstracks nach Norden. Denn ich
weiß jetzt, wohin ich will. Ein Besuch, der schon lange überfällig ist.
     
    Ich komme exakt
zur gewünschten Zeit an. Der Strand ist menschenleer, und ich muss mir dringend
einen Plan zurechtlegen. Das Problem ist: Ich muss sie allein erwischen. Und
das ist so gut wie unmöglich, denn zu dieser Zeit ist sie nieallein. Ich bin immer bei ihr. Bis sie mich verlässt. Die logische Schlussfolgerung wäre
also, sie danach zu suchen. Nur – wo und wann? Das Meer ist weit, und die Zeit
spielt in ihm keine große Rolle. Und ich kann mich dort leider nicht so frei
bewegen wie sie. Weil ich nicht binwie sie. So habe ich es ja überhaupt
erst erfahren: Dass ich bin, was ich bin. Weil ich ihr nicht folgen konnte. Sie
könnte überall sein. Wie soll ich sie finden?
    Zunächst setze
ich mich einfach in den Sand und blicke aufs Meer. Das Wasser ist heute so, wie
man es sich in Schottland vorstellt – grau und aufgewühlt. Der Himmel ist
ebenfalls grau, man kann den Horizont mehr erahnen als erkennen. Kaum zu
glauben, dass Deutschland nur ein paar Stunden und Kilometer von mir entfernt
ist. Und Clarissa. Ich will nicht an sie denken, weil das alles noch
schwieriger macht. Aber meine Gedanken hören nicht auf mich. Statt über eine
Lösung für mein Problem nachzudenken, sehe ich immer wieder Clarissas schwarze
Augen vor mir.
    Clarissa. Der
Gedanke an sie tut weh. Was mache ich eigentlich hier? Ich hätte bei ihr
bleiben sollen. Sie hat es nicht verdient, dass ich sie schon wieder im Stich
lasse. Sie wird es nicht verstehen. Aber meine Anwesenheit bringt sie erst
recht in Gefahr. Sie wäre gestorben. Nun schon zweimal. Beim letzten Mal
verbrannt. Beim ersten Mal ertrunken. Die Wächter haben zuerst mich erstochen
und dann sie ins Meer geworfen. Wenn sie nicht zufällig ein paar Fischer gefunden
und gerettet hätten, wäre sie jetzt tot. Und ich auch, denn sie hätte

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