Zurueck in die Nacht
bist, will auch ich sein!“
„Das geht
nicht“, sagte sie traurig. „Du bist nicht wie ich. Es tut mir leid.“ Dann ging
sie entschlossen weiter. Das Wasser stieg mir bis zur Hüfte, zur Brust. Ich
wurde langsam panisch.
„Es ist nur zu
deinem Besten“, hatte sie behauptet, als sie mir an diesem Morgen gesagt hatte,
dass wir uns trennen müssten. „Ich kann dich nicht mehr beschützen. Im
Gegenteil. Wenn du bei mir bleibst, werden die Wächter dich früher oder später
entdecken. Wir haben schon viel zu lange gewartet. Nur ohne mich hast du
vielleicht eine Chance, zu überleben.“
„Aber warum? Was
sollten sie gegen mich haben?“, hatte ich verzweifelt erwidert.
Ihre Augen
wurden noch trauriger. Sie strich mir über den Kopf. „Alles. Sie haben alles
gegen dich.“
„Was habe ich
ihnen denn getan?“
„Gar nichts. Du
kannst nichts dafür. Es ist das, was ich getan habe. Es tut mir wirklich
unendlich leid, dass du jetzt darunter leiden musst. Aber es geht nicht
anders.“ Dann warf sie mir einen letzten Blick zu. „Geh zu den Menschen, Ariel.
Lebe wie sie. Das ist deine einzige Chance.“
Als mir das
Wasser bis zum Kinn stieg, sah ich, wie meine Mutter, die etwa einen halben
Kopf kleiner war als ich, plötzlich ganz im Meer versank. Ich begann zu schreien.
Und dann erreichte das Wasser auch meinen Mund, meine Nase. Krampfhaft
versuchte ich, die Luft anzuhalten und meine Mutter ja nicht loszulassen. Doch
ich konnte es nicht. Plötzlich wusste ich mit untrüglicher Sicherheit, dass ich
ertrinken würde, wenn ich nicht augenblicklich Luft bekam. Verzweifelt zerrte
ich an ihrer Hand, um sie mit mir zurückzuziehen. Doch sie bewegte sich keinen
Millimeter von der Stelle. Da gab ich auf, und obwohl ich ihren stummen Schrei
wie eine Woge gegen meine Ohren branden hörte, ließ ich ihre Hand los. Dann
stieß ich mich mit aller Kraft vom Meeresboden ab nach oben, dem Licht
entgegen.
Selten war etwas
so köstlich wie der Sauerstoff, der kurz darauf in meine Lungen zurückströmte.
Und erst, als ich mehrfach tief ein- und ausgeatmet hatte, während ich
verzweifelt mit den Füßen strampelte, um an der Wasseroberfläche zu bleiben,
wurde mir bewusst, dass sie mir nicht gefolgt war. Dass ich sie
unwiederbringlich verloren hatte. Der Schmerz, der mich daraufhin ergriff, war
unbeschreiblich. Ich versuchte, sie doch noch wiederzufinden. Doch ich schaffte
es nicht. Sobald ich meinen Kopf unter Wasser steckte, überwältigte mich die
Panik. Ich konnte sie nicht mehr erreichen. Ich schwamm zurück.
Als ich wieder
festen Boden unter meinen Füßen spürte, war ich völlig verzweifelt. Warum hatte
sie das getan? Warum wollte sie mich nicht mehr bei sich haben? Was war nur so
schlimm an unserem Leben gewesen? Und vor allem: Warum konnte ich ihr nicht
folgen? Was stimmte mit mir nicht? Ich hatte keine Ahnung. Aber dass es an mir
liegen musste, war mir sofort klar. Dass mit mir etwas falsch war. Dass ich
nicht das sein konnte, was ich immer geglaubt hatte. Und das wiederum ließ nur
einen Schluss zu: Dass auch meine Mutter nicht die war, die ich zu kennen
glaubte. Sondern dass sie das scheußlichste aller Verbrechen begangen haben
musste. Sie hatte gegen das oberste Gebot verstoßen. Und das Produkt dieses
Verbrechens war ich.
Erst, als meine
Taucherbrille von innen nass wird, merke ich, dass ich weine. Und ich
beschließe, aufzugeben. Sie in Frieden zu lassen. Sie hat ein Leben ohne mich
gewählt. Und ich habe kein Recht, ihr dieses Leben zu nehmen.
Ariel?
Es ist eine
Stimme, doch sie existiert nur in meinem Kopf. Ihre Stimme. Ich will sie nicht
hören. Sie tut zu weh.
Ariel!
Ich schwimme
schneller, will nur noch weg, nach oben, raus aus dieser ewigen Nacht. Mein
Kopf durchbricht die Wasseroberfläche, doch etwas zieht mich zurück. Ich tauche
wieder unter.
Ariel, mein
Junge. Ich habe so lange auf dich gewartet.
Ihre Stimme ist
ganz nah. Panik ergreift mich. Das kann nicht sein. Sie kann nicht hier sein.
Das ist nur ein Trugbild. Tiefenrausch. Sauerstoffmangel. Ich muss hier raus.
Geh nicht
weg! Bitte!
Zögernd trete
ich auf der Stelle. Das Wasser um mich herum ist nicht ganz schwarz, von oben
fällt ein bisschen graues Licht herein. Gerade genug, um zu erkennen, dass da
nichts ist. Nichts, nur Wasser und Kälte.
Bitte! Ich
bin gleich bei dir! Warte auf mich!
Die Stimme wird
flehender, lauter. Ich drehe meinen Kopf in ihre Richtung. Auch wenn da keine
Richtung ist, denn sie existiert nach wie vor nur
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