Zurueck in die Nacht
Weile fällt mir auf, dass ich auch meine Augen nicht öffnen kann.
Vielleicht ist es gar nicht so dunkel. Sondern nur in mir. Ich versuche, mit
meinen anderen Sinnen herauszufinden, was mit mir los ist – wo ich bin, ob ich
allein bin, was mit mir geschieht. Aber dann stelle ich fest, dass ich noch
nicht einmal weiß, ob ich liege, sitze, stehe. Ich fühle rein gar nichts. Nicht
meine Umgebung. Nicht einmal meinen Körper. Vielleicht habe ich gar keinen
mehr. Ich könnte genau so gut frei im Weltall schweben. Oder im Nichts. Nur,
dass ich dann wohl nicht mehr atmen würde. Oder leben. Aber tue ich das
überhaupt? Und endlich spüre ich doch etwas. Nämlich reine, ungebremste Panik,
die mich eiskalt durchfährt. Noch kälter als vorher. Wenn ich könnte, würde ich
schreien. Aber selbst das bleibt mir verwehrt.
Clarissa
Es ist ein
seltsam zwiespältiges Gefühl, Arik vor mir zu sehen. Im ersten Moment
durchfährt es mich wie ein Blitz, dann folgt eine eisige Kälte. Ich merke, dass
er mich doch noch mehr beschäftigt, als er sollte. Da sitzt er seelenruhig bei
seiner Mutter, während er an mich keinen weiteren Gedanken verschwendet hat.
Ich dachte, ihm wäre etwas zugestoßen, er hätte nicht zu mir zurück kommen
können. Doch offenbar wollte er es gar nicht. Wie ich gemerkt habe, während ich
ihm kreuz und quer durch die Zeit und die Gegend gefolgt bin, hat er nicht
einmal versucht, umzudrehen. Im Gegenteil, er ist überall hin gefahren – nur nicht
zu mir. Wütend schlucke ich die Tränen runter, die blöderweise in mir
aufsteigen wollen. Wenn ich noch einen Beweis gebraucht hätte für das, was ich
längst weiß – dass er nichts wert ist, dass er schlecht ist, genau wie Jay sagt
– dann hätte ich ihn jetzt. Aber ich brauche ihn gar nicht. Weder den Beweis
noch Arik. Niemand braucht ihn. Im Gegenteil. Die Welt wird ein besserer Ort
sein, wenn es ihn nicht mehr gibt.
Ich spüre die
Energie der anderen Wächter durch mich hindurch und aus mir heraus schießen. Es
ist ein unglaublich gutes Gefühl. Als läge die ganze Welt in meinen Händen und
ich könnte bestimmen, was mit ihr geschehen soll. Unsere Energie umhüllt Arik
und Claire wie ein Netz, in dem sie gefangen sind. Sie befinden sich
buchstäblich in unseren Händen. Und je näher wir kommen, je größer die Energie
wird, mit der wir sie umhüllen, lähmen, gefangen nehmen, desto klarer kann ich
sie sehen, während sie immer weniger wahrnehmen. Ich fühle plötzlich, was sie
fühlen. Ich sehe, was sie sehen. Und ich denke, was sie denken. Clarissa! Mich
durchfährt ein Blitz, dann wird es schwarz um mich.
Als ich erwache,
sitzt Jay neben mir im Sand und sieht mich besorgt an. Ich bin total verwirrt.
Es dauert eine ganze Weile, bis ich wieder anfange, klar zu denken. Wir sind in
Schottland. Wir haben Arik gefunden. Und dann…
„Was ist
passiert?“ Meine Stimme klingt heiser.
„Du bist
ohnmächtig geworden.“ Jay greift nach meiner Hand und zieht mich vorsichtig in
sitzende Stellung hoch. Mein Kopf dröhnt und ich schwanke. Schnell legt er
einen Arm um meine Schultern und zieht mich an sich. Dankbar lege ich meinen
Kopf an seine Schulter.
„Ist das
normal?“
Er schüttelt den
Kopf. „Eigentlich nicht. Geht es dir denn jetzt wieder gut?“
„Ich weiß
nicht.“ Vorsichtig checke ich mich durch. Mein Kopf pocht noch immer, aber
ansonsten scheine ich okay zu sein. „Ich fühle mich noch etwas wacklig.“ Dann
fällt mir wieder ein, warum wir eigentlich hier sind. „Was ist mit Arik? Und
Claire? Haben wir sie erwischt?“
Er nickt. „Klar.
Kein Problem. Sie hatten keine Chance.“
„Und wo ist er?“
Ich drehe meinen Kopf vorsichtig, aber soweit ich es in der Dunkelheit erkennen
kann, ist der Strand, von uns beiden abgesehen, leer.
„Die anderen
haben ihn und seine abtrünnige Mutter mitgenommen. Keine Angst, die entkommen
uns nicht mehr.“
Ich atme
erleichtert auf. „Gut. Und wir?“
„Wir folgen
ihnen, sobald du dazu in der Lage bist.“
„Folgen? Wohin?“
„Ins
Hauptquartier. Dort wird ihnen der Prozess gemacht.“ Er sieht grimmig aus.
„Und was ist mit
Mike? Und Raphael?“
„Keine Sorge, um
die kümmern wir uns auch. Es sind schon Wächter unterwegs. Wenn wir Arik und
seine Mutter gefunden haben, dürften die anderen beiden kein Problem sein.
Deine Hilfe werden wir diesmal wohl nicht brauchen.“
„Aber wenn doch
– ich helfe gerne“, murmele ich. Dann gähne ich und schlage mir erschrocken
Weitere Kostenlose Bücher