Zurueck in die Nacht
Am Anfang waren es nur Träume, so ähnlich wie die, die ich schon
vor meinem Bündnis mit Jay gehabt hatte. Ich träumte von Ereignissen, Orten und
Menschen, die ich nicht kannte, die mir aber zunehmend bekannt vorkamen. Ich
träumte von Mike. Und natürlich von Arik. Meistens nur unzusammenhängende
Szenen. Doch nach und nach erweiterten sich diese Einzelszenen zu längeren
Episoden und immer öfter passierte es, dass ich sie einordnen konnte. Ich
träumte sozusagen Fortsetzungen. Und je mehr es wurden, desto bekannter
erschien mir alles, bis es sich schließlich nicht mehr wie Träume anfühlte,
sondern wie Erinnerungen.
Dann ertappte
ich mich zum ersten Mal dabei, dass mir diese Erinnerungen auch kamen, während
ich wach war. Das war der Moment, wo der Damm brach und mich eine wahre Flut
überrollte. Zum Glück war Jay bei mir, sonst wäre ich möglicherweise darin ertrunken.
Es war einfach zu viel auf einmal. Doch kaum umarmte Jay mich beschützend,
hatte ich keine Angst mehr.
„Was ist los,
Clarissa?“ Er sah mir prüfend in die Augen.
„Ich… erinnere
mich! An alles!“, keuchte ich. „Das ertrage ich nicht!“
„Darf ich sehen,
was du siehst?“ Seine Stimme klang warm. Mich durchströmte Erleichterung.
Er sah meine
Zustimmung schon, bevor ich nicken konnte, und im selben Moment spürte ich ihn
in meinem Kopf. Gleich darauf bemerkte ich, dass meine Erinnerungen sich
veränderten. Leichter wurden. Klarer wurden. Als hätte mir jemand eine viel zu
schwere Last zwar nicht völlig abgenommen, aber würde sie mit mir zusammen
tragen. Jemand, der viel stärker war als ich und viel besser wusste, wie er mit
dieser Last umgehen musste. Jemand, der mir nur den Teil überließ, den ich
problemlos bewältigen konnte.
Zum ersten Mal,
seit Arik mich verlassen hatte, fühlte ich mich vollkommen leicht und froh.
Denn Jay gab mir etwas, was mir noch nie jemand gegeben hatte, auch Arik nicht
– das Gefühl, genau am richtigen Ort bei der richtigen Person zu sein. Selbst genau
die Richtige zu sein. Ich erkannte auf einmal, wie blöd es gewesen war, mich so
von Arik abhängig zu machen. Ohne ihn ging es mir eigentlich viel besser. Und im
Vergleich zu Jay schien er mir plötzlich längst nicht mehr so toll wie vorher.
Ich verstand gar nicht mehr, wieso ich je geglaubt hatte, so unsterblich in ihn
verliebt zu sein. Er hatte eigentlich überhaupt nichts an sich, was ich
liebenswert fand. Eigentlich war es sogar ganz gut, dass er weg war. Sonst
hätte ich Jay vielleicht nie kennen gelernt. Und ganz sicher hätte ich mich
nicht mit ihm verbündet. Das hatte ich ja nur getan, weil er mir versprochen
hatte, Arik zu suchen. Nur dass ich das inzwischen gar nicht mehr wollte.
„Jay?“
„Ja?“
Es war ein paar
Tage später und wir saßen während einer kurzen Trainingspause zusammen auf dem
alten Sofa in der Werkstatt. Ich hatte mich mittlerweile daran gewöhnt, mich
neuerdings an zwei Leben erinnern zu können – mein Leben hier und mein anderes
Leben in Schottland. Eine Erinnerung an die Vergangenheit und eine an die
Zukunft. Und beide schienen mir gleichermaßen real. Nur gefiel mir meine
Erinnerung an Schottland immer weniger, genau so wenig wie die an meine
gemeinsame Vergangenheit mit Arik hier in Deutschland. Und aus demselben Grund.
Ich verstand die Clarissa aus diesen beiden Erinnerungen einfach nicht mehr.
Absolut nicht. Und je mehr mir wieder über Arik einfiel – je mehr ich seinen
wahren Charakter durchschaute – desto weniger gefiel ich mir. Was hatte ich nur
an ihm gefunden? Er war nicht nur unpassend für mich, sondern sogar schlecht.
Finster, wie ich ihm am Anfang unserer Bekanntschaft in Schottland mal gesagt
hatte. Damals schien ich noch bei klarem Verstand gewesen zu sein. Später
jedoch war mir dieser eindeutig abhanden gekommen. Erst jetzt, mit Jays Hilfe, fand
er sich langsam wieder ein. Und ich hatte immer weniger Lust, diesen Zustand
wieder zu gefährden, indem ich Arik erneut aufsuchte. Es fiel mir nur schwer,
Jay von meinem veränderten Gemütszustand zu unterrichten, denn ich hatte Angst,
dass er dann keinen Grund mehr sähe, bei mir zu sein. Arik zu suchen war ja der
einzige Grund für seine Anwesenheit. Deswegen hatte ich dieses Gespräch immer
wieder hinausgezögert. Aber irgendwann würde er es sowieso herausfinden, denn
er kannte mich schon viel zu gut. Besser, ich sagte es ihm von mir aus.
„Warum willst du
eigentlich überhaupt nach Arik suchen?“
Er sah mich
prüfend an.
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