Zurueck in die Nacht
meinst du, Jay?
Ich bin nicht
Jay.
Ich stutze.
Nicht Jay? Aber wer redet denn dann mit mir? Die anderen Wächter haben mich
seit meiner Begrüßung bisher ignoriert. Irgendwie finde ich es beunruhigend,
dass sich das jetzt offensichtlich geändert hat. Ich nehme mir vor, auf der Hut
zu sein.
Und wer bist
du dann?
Wieder eine
längere Pause. Ich scheine nicht die einzige zu sein, die auf der Hut ist. Dann
kommt leise: Arik.
Oh Gott. Schlagartig
werden mir die Knie weich und ich sinke langsam an der Mauer hinunter auf den
eiskalten Boden. Arik? Wie kann das sein? Hat Jay nicht gesagt, er kann nichts
und niemanden wahrnehmen? Auf keinen Fall will ich mit ihm reden.
Clarissa?
Bist du noch da?
Geh weg!, schreie ich ihn in Gedanken an. Lass mich in Ruhe! Ich drücke mir die
Hände auf die Ohren, auch wenn ich weiß, dass das wohl nichts nützen wird.
Eine Weile herrscht
tatsächlich Ruhe und ich hoffe schon, dass er weg ist. Doch meine Hoffnung
trügt. Clarissa! Bitte!
Nein!
Verschwinde! Hau ab! Selbst in Gedanken klingt meine Stimme hysterisch.
Ich höre ein
Geräusch, das fast wie ein Schluchzen klingt. Es geht mir durch Mark und Bein. Clarissa.
Was ist passiert? Bitte, sprich mit mir! Er klingt so traurig, wie ich ihn
noch nie gehört habe.
Wieder ertönt
das Schluchzen, und ich stelle schockiert fest, dass ich selbst es bin, von der
das Geräusch kommt. Ich kann nicht. Ich will nicht. Ich will nichts mehr mit
dir zu tun haben. Nie mehr!
Aber – warum? Ich kann ihn kaum hören, selbst in Gedanken nicht. Was habe ich denn
getan?
Ich kann ihm nicht
antworten. Ich kannnicht. Seine Worte schnüren mir die Luft ab.
Clarissa. Sag
es mir, bitte! Sag mir, was los ist! Du musst mit mir sprechen!
Plötzlich werde
ich wütend. Nein! Ich muss gar nichts! Und schon gar nicht für dich! Du hast
mich ja doch immer nur belogen! Und verlassen! Ich schulde dir nichts! Und
jetzt lass mich endlich in Ruhe!
Sein Schweigen
sagt mehr als tausend Worte und zerrt mehr an meinen Nerven als seine Stimme. Ich
springe auf. Dann renne ich schluchzend den Gang entlang zurück bis zur Tür und
rase die Treppe hinunter. In Gedanken rufe ich so laut nach Jay, dass es mich
kaum überrascht, als er auf einmal vor mir steht. Ich umarme ihn so stürmisch,
dass er fast umfällt.
„Wow, langsam,
Clarissa! Was ist denn los?“
„Genug
Einsamkeit für heute!“, entgegne ich atemlos. „Mir ist kalt.“ Ich hoffe, das
erklärt mein verheultes Aussehen. Hastig fahre ich fort: „Und außerdem habe ich
Hunger. Gibt’s hier auch irgendwas zu essen?“ Das mit der Kälte stimmt. Ich bin
durchgefroren bis ins Mark. Hunger dagegen werde ich wahrscheinlich nie wieder
haben. Mein Hals ist wie zugeschnürt und mein Magen ein zentnerschwerer
Klumpen. Aber alles ist mir Recht, solange Jay nur bei mir ist. In seiner
Gesellschaft werde ich hoffentlich von Ariks Gedanken verschont bleiben.
Arik
Ich war noch nie
so durcheinander. Eine Hälfte meines Herzens jubelt und hüpft wie wild in
meiner Brust herum, während die andere sich so schwer anfühlt, dass sie sich
genau so gut in meinen Füßen oder noch tiefer befinden könnte (wenn ich meine
Füße oder irgendein anderes Körperteil nur spüren würde). Was ist mit Clarissa
los? Wieso ist sie hier? Wieso kann ich sie in meinen Gedanken hören und ihr
sogar antworten? Und warum verhält sie sich so seltsam? Warum will sie nicht
mit mir reden? Und warum glaubt sie, dass ich sie belogen und verlassen habe?
Die letzte Frage
macht mir am meisten zu schaffen, dabei ist sie die einzige, die ich mir leicht
selbst beantworten kann. Denn ich habe sie belogen und verlassen.
Belogen, indem ich ihr so gut wie nichts über mich und meine Existenz erzählt
habe. Und verlassen, um sie zu schützen. Aber auch, ohne ihr irgendwas davon zu
sagen. Wahrscheinlich trifft mich dieser Vorwurf deshalb so schwer, weil ich
weiß, dass sie absolut Recht hat. Und jedes Recht, sauer auf mich zu sein. Nichts
mehr mit mir zu tun haben zu wollen. Aber was, um Himmels Willen, macht sie
dann hier? Und wer, verdammt noch mal, ist dieser Jay?
Ich höre sie
nicht mehr und ich habe nicht mehr versucht, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Ich werde
ihr etwas Zeit geben, falls es so etwas an diesem Ort überhaupt gibt. Aber
allzu lange werde ich das nicht durchhalten. Dafür war es viel zu schön, ihre
Stimme zu hören. Ganz egal, was sie sagt.
Clarissa
Jay zeigt mir
die große Halle, in der alle Mahlzeiten
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