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Zurueck in die Nacht

Zurueck in die Nacht

Titel: Zurueck in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Walter
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Ich weiß wieder, dass ich noch lebe,
dass es noch Hoffnung gibt, und sei sie auch noch so gering.
    Ich konzentriere
mich mit aller Kraft auf den einzigen Gedanken, für den noch Platz in mir ist. Clarissa.
Clarissa. Clarissa. Komm zurück zu mir, Clarissa.
     
     
    Clarissa
     
    Jay findet mich
schließlich ganz oben auf der riesigen Burgmauer. Die Treppe hat mich bis auf
eine Art Rundgang an deren oberen, inneren Rand geführt, und wenn ich mich auf
die Zehenspitzen stelle, kann ich gerade eben einen Blick zwischen den Zinnen
hindurch auf die Hügel in der Ferne werfen. Was sich dagegen direkt unter mir auf
der anderen Seite der Mauer befindet, kann ich nicht sehen, dafür bin ich zu
klein. Andererseits versperrt mir nichts den Blick in die entgegengesetzte
Richtung, denn dort ist die Mauer nur etwa brusthoch. Aber viel ist da auch
nicht zu erblicken, nur ein kahler Burghof, der auf der einen Seite von einem
sehr lang gezogenen Gebäude, zu dem die Mauer gehört, und auf der anderen
Seite, offenbar ohne jeden Schutz, von steilen Klippen begrenzt wird – und dahinter
dem Meer. Es sieht rau und aufgewühlt aus, passend zu dem scharfen Wind, der
hier oben weht und der dafür sorgt, dass ich mich wie ein Eiszapfen fühle.
Zumindest glaube ich, dass das vom Wind kommt.
    „Hier bist du!“
Jays Stimme klingt irgendwo zwischen besorgt und vorwurfsvoll. „Warum hast du
mich denn nicht gerufen?“
    Meine Zähne
klappern, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. „I… ich… b… b… brauchte einfach
etwas B… Bewegung.“
    „Du hättest dich
verlaufen können.“
    „Ich w… wusste
doch, d… d… dass du mich findest“, gebe ich zitternd zurück.
    Er stellt sich
neben mich, legt mir den Arm um die Schulter und sieht auch in Richtung Meer. „Ganz
schön wild da draußen“, stellt er fest.
    Mein Zittern
lässt etwas nach. „Ja.“
    „Willst du noch
länger hier oben bleiben?“
    Ich nicke. „Aber
du kannst ruhig gehen, wenn du was anderes zu tun hast. Ich find schon allein
zurück.“ Ich versuche, mir meine innere Kälte, die trotz seiner Nähe immer noch
vorhanden ist, nicht anmerken zu lassen.
    „Sicher?“ Sein
Blick ist zweifelnd.
    „Ja-a.“ Ich
rolle mit den Augen. Er behandelt mich, als wäre ich ein Kleinkind. Bisher fand
ich das beruhigend, aber plötzlich nervt es mich. „Nun geh schon!“
    „Okay. Aber ruf
mich wirklich, klar?“
    „Ja, Papa.“
    „Haha.“ Er verzieht
das Gesicht.
    „Bis nachher!“
Ich bemühe mich, weiterhin cool zu bleiben, auch wenn ich mich plötzlich beim
Anblick, wie er in der dunklen Türöffnung verschwindet, doch wieder einsam
fühle und ihn am liebsten zurückgerufen hätte. Aber wenn ich das mache, wird er
mich nie wieder allein lassen. Und seine ständige Nähe beginnt, an meinen
Nerven zu zerren.
    Ich drehe mich
um und gehe noch ein Stück die Mauer entlang. Dann stütze ich mich mit den
Armen auf die innere Brüstung und starre gedankenverloren hinaus aufs Meer. Das
stetige Auf und Ab der Brandung, das entfernte Kreischen von Möwen oder
irgendwelchen anderen Seevögeln, die man nicht sieht, aber hört, und der Wind,
der in meinen Ohren rauscht, haben eine beruhigende, fast einschläfernde
Wirkung. Ich gerate allmählich in so eine Art Trance-Zustand, aus dem ich erst
hochschrecke, als ich plötzlich meinen Namen höre.
    Ich seufze. Was
will er denn jetzt schon wieder? „Meinst du nicht, dass ich auch mal ein paar
Minuten ohne dich auskomme?“
    Keiner
antwortet. Ich drehe mich um und blicke den Rundgang auf and ab. Niemand zu
sehen. Kopfschüttelnd drehe ich mich wieder um. Da habe ich mich wohl vertan.
Oder der Wind hat mir einen Streich gespielt.
    Clarissa!
    Ich schrecke
wieder hoch und fahre herum. „Was ist denn?“
    Keine Antwort.
Ich bin immer noch allein.
    Clarissa!
    Aber es ist
eindeutig eine Stimme, die mich ruft. Hört sich irgendwie an wie Jay, aber dann
auch wieder nicht. Doch erst, als ich immer noch niemanden sehe, erinnere ich
mich, dass er mich schon mal so gerufen hat. Und ich ihn nicht äußerlich,
sondern in meinem Kopf höre.
    Ich konzentriere
mich. Jay? Was ist los?
    Die Stimme in
meinem Kopf schweigt. Wahrscheinlich habe ich mich nicht stark genug
konzentriert und er hat mich nicht gehört. Ich versuche es noch mal. Jay?
    Wieder empfängt
mich Schweigen. Ich will mich gerade auf den Weg machen, ihn zu suchen, um auf
herkömmliche Weise mit ihm zu sprechen, als ich plötzlich doch etwas höre.
    Nein.
    Was soll das
denn heißen? Nein? Was

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