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Zurück in die Zwischenwelt (German Edition)

Zurück in die Zwischenwelt (German Edition)

Titel: Zurück in die Zwischenwelt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Filomena Nina Ribi
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trug einen großen, anscheinend schweren Rucksack und sammelte darin die freiliegenden Früchte der Kastanienbäume. Vor lauter Begeisterung hatten sie sich hoch hinauf in den Wald begeben. Eigentlich hatte die Frau zuerst in der Nähe des Wanderweges bleiben wollen, aber ihre Tochter war nicht zu bremsen gewesen und immer höher hinauf gerannt.
    „So viele Kastanien!“, staunte das Mädchen, als es weiter herumhüpfte.
    „Wo ist deine Tasche?“
    „Oh, Mann – die habe ich weiter unten vergessen!“ Und schon war sie weg, rannte den Berg hinunter.
    Die Frau blieb stehen und folgte mit dem Blick dem laufenden Kind, während ihr Gesicht keinerlei Ausdruck zeigte. Sie schien vollkommen emotionslos zu sein: Ihre Mundwinkel zeigten weder nach oben noch nach unten und ihre Lippen bildeten einen geraden horizontalen Strich. Das war der typische Ausdruck ihrer Resignation – einer Anpassung, um geistige Energie zu sparen und sich nicht aufregen zu müssen.
    Als das Mädchen nach zehn Minuten mit ihrer Tasche rennend wieder auftauchte, fuhr die Mutter fort, als ob nichts gewesen wäre: „Heute feiern wir! So viele Kastanien und schon so früh, das hat es noch nie gegeben!“ Doch obwohl sie eine so freudige Mitteilung machte, blieb ihr Gesicht dabei ausdruckslos. 
    Im Tessin ist es Brauch, sich im Herbst mit Familie, Freunden oder Kollegen zu treffen und eine „Castagnata“ zu organisieren. Dabei werden die eingesammelten Kastanien in einer speziell dafür angefertigten durchlöcherten Pfanne über einem Feuer geröstet, während man vor dem Kamin oder im Freien ein paar glückliche Stunden mit Gleichgesinnten verbringt.
    „Serena wird staunen, wenn sie diese riesigen Kastanien sieht!“, meinte das Mädchen.
    „Ja, die sind größer als sonst. Weißt du, Vidya, bei den wilden Kastanienbäumen sind viele kleine Kastanien in den Igeln drin – meistens drei, aber oft auch mehr. Und sie sind ein wenig abgeflacht, weil sie sich zu dritt einen Igel teilen müssen. Der Wald hier besteht aus wilden Edelkastanien. Gezüchtete Kastanien sind dagegen fast rund und viel größer, weil im Kastanienigel dann meistens nur eine Frucht oder höchstens zwei drin sind. Die lassen sich auch besser schälen – das sind die, die du dann in der Stadt gegrillt kaufen kannst.“
    „Aha.“
    „Früher gehörten Kastanien zu den wichtigsten Nahrungsmitteln. Veredelte Kastanienbäume wurden extra angepflanzt und jeder einzelne Baum wurde gepflegt und hatte mindestens zehn Meter Abstand zum nächsten. Als diese ‚Plantagen‘ dann aufgegeben wurden, haben sich die wilden Kastanienbäume ungestört vermehrt.“
    Vidya entfernte sich mehr und mehr, sodass ihre Mutter die Lautstärke automatisch erhöhte: „Wie du jetzt siehst“, rief sie, „wachsen die wilden Kastanienbäume sehr nahe beieinander und ihre Stämme sind schmal, weil es zu viele davon gibt. Sie haben zu wenig Platz, also wachsen sie in die Höhe, um ans Sonnenlicht zu gelangen. Vidya?“
    Vidya hörte schon lange nicht mehr zu, sie steuerte weiter hinauf. Ab und zu stieß sie mit den Füßen das Laub zur Seite, dann ging sie wieder ein paar Meter, um dann wieder mit dem Fuß den Boden zu fegen.
    „Mami, hier gibt es einen Weg!“
    Vidya wischte die Blätter mit dem Fuß weg und zum Vorschein kam ein mit kleinen runden Natursteinen gepflasterter Weg.
    „Der ist aber rutschig“, stellte die Mutter fest, „er sieht fast so aus, als ob er geschliffen worden wäre. Wahrscheinlich wurde er früher sehr oft benutzt und ist deshalb einfach abgenutzt.“
    „Schau!“ Das Mädchen sprang schreiend in die Luft. „Die Kastanien hier sind noch größer!“ Es zertrat mit der dicken Sohle seiner Schuhe einen Igel und rieb ihn auf dem Boden hin und her, bis er sich öffnete und eine Kastanie zum Vorschein kam. „In diesem Igel hat es nur eine!“, rief sie komplett aufgedreht.
    „Zeig mal.“
    Die Frau hob die Kastanie in aller Ruhe auf und analysierte sie. „Stimmt, die muss von einem veredelten Kastanienbaum stammen.“
    Beide schauten sich um.
    „Da oben“, rief die Mutter. „Dort ist der Baum!“ Sie zeigte auf einen Baum mit einem Stammumfang von zwei Metern, an dessen Stamm auf eineinhalb Metern Höhe eine Wucherung wuchs. „Wo das Geschwulst gewachsen ist, das ist die Pfropfstelle. Siehst du?“
    „Ja.“
    „Anscheinend gab es hier früher eine Kastanien-Selve und der Dicke dort war einer dieser Bäume und hat bis heute überlebt. Dahinter stehen sogar noch die

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