Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
Ohrring zwischen Daumen und Zeigefinger, während sie abzuschätzen versuchte, wie sie die verlorene Zeit für die Vorbereitung ihrer Ausstellung wieder aufholen konnte. Sie atmete zittrig durch, als ihr klar wurde, wie schlecht ihre Chancen standen.
„Unter normalen Umständen mag das reichen , aber Sie sind ziemlich angeschlagen und das sollten Sie wörtlich nehmen und entsprechend einen Gang zurückschalten. Gönnen Sie sich die Ruhe, die Ihr Körper zur Erholung braucht.“
„ Was ist eigentlich mit den Kindern? Sind sie …“
„Vollkommen unv ersehrt und in Ordnung. Es ist ein kleines Wunder, weil sie ohne jede Schramme blieben. Frau Wichmann, die Mutter der beiden, ist natürlich überglücklich und möchte Sie besuchen, sobald Sie sich in der Lage dazu fühlen. Sie müssen wissen, Frau Wichmann hat ihren Ehemann vor zwei Jahren durch einen Verkehrsunfall verloren und war entsprechend schockiert, als sie hörte, was Ihnen zugestoßen ist – und in welcher Gefahr ihre Kleinen schwebten. Jetzt sollten wir aber endlich Ihre Familie benachrichtigen, Frau Seiler. Ihre Eltern werden sich Sorgen machen.“
Um Himmels willen, bloß nicht! signalisierte Susanns erschreckte Miene. Gerade noch rechtzeitig befahl sie ihrem Mund zu schweigen. Ein Krankenbesuch ihrer Familie würde ihr unter Garantie den Rest geben. Allerdings war sie genauso davon überzeugt, dass diese Sorge überflüssig war, da sie ihre abtrünnige Tochter ohnehin nicht besuchen würden.
„ Danke. Danke, nicht nötig“, wehrte sie kleinlaut ab. „Das ist sehr nett, aber ich will Ihnen keine Umstände bereiten. Ich rufe gleich selbst an“, versicherte sie mit einem Blick auf das Telefon auf ihrem Nachttisch.
„Wenn Sie sonst noch etwas benötigen oder wünschen …“
Suchend drehte und wendete Susann den Kopf und fasste dann mit spitzen Fingern den Krankenhauskittel, den man ihr wahrscheinlich übergezogen hatte, als sie sich unter dem Einfluss der Narkose nicht dagegen hatte wehren können. „Um ehrlich zu sein, ich vermisse meine Klamotten. Vor allem jedoch“, sie grinste, während ihre Hände über Nase und Augen tasteten, als sei sie blind wie ein Maulwurf, „meine Brille.“
„ Wie konnte ich das vergessen! Ich werde veranlassen, dass sie von der Reparatur geholt wird. Und Ihre Kleidung befindet sich in der Wäscherei. Leider fürchte ich, dass sie unter ihrem Sturz arg gelitten hat.“
„ Dachte ich mir schon. Angesichts ihres fortgeschrittenen Alters hatte ich ohnehin seit längerer Zeit mit ihrem Ableben gerechnet. Tja, das ist wohl der Lauf der Dinge.“
Wieder spielten Susanns Finger an ihrem silbernen Ohrring. Sie musste sich erinnern! Es war lediglich ein Gefühl, zugegeben vage und unbeschreiblich, nichtsdestotrotz glaubte sie, es hatte mit Ruhe und Zuversicht zu tun. Liebe. Also … Männer? Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, da sie sich verliebt hatte, so richtig echt, mit Herzschmerz und allem Drum und Dran. Männer waren für sie nie ein Problem gewesen. An wen indes würde sie sich dereinst in Liebe erinnern?
„Was meinen Sie, ob ich den Arzt sprechen könnte, der mich ins Krankenhaus gebracht hat? Anstandshalber sollte ich mich bei ihm bedanken. Möglicherweise begegne ich ihm sogar bei der nächsten Visite – vorausgesetzt natürlich, ich sehe bis dahin wieder etwas.“
In der nächsten Sekunde fragte sie sich erschreckt, welche Bemerkung, die sie von sich gegeben hatte, falsch gewesen sein mochte, denn mit einem Schlag war bei ihren Worten das freundliche Lächeln auf dem faltigen Gesicht der Schwester verschwunden.
Sie hatte sich nicht schnell genug umgedreht, sodass Susann das verdächtige Glitzern in den Augen der Oberschwester nicht entging, als diese tonlos murmelte: „Tut mir leid, das wird wohl noch etwas warten müssen. Er ist arbeitsunfähig geschrieben. Wenn Sie möchten, werde ich es ihm bei Gelegenheit ausrichten.“
„Warten Sie, Schwester! Sagen Sie mir zumindest, wie er heißt. Nicht, dass ich an ihm grußlos vorübergehe, wenn wir uns zufällig irgendwann über den Weg laufen. Es kommt nicht oft vor, solch ein Fauxpas indes wäre mir furchtbar peinlich.“
„Stojanow“, erwiderte Erika knapp, weil sie es plötzlich eilig hatte, und schluckte mühsam einen Schluchzer hinab. „Sein Name ist Angel Stojanow.“
Ohne ein weiteres Wort schloss sie die Tür hinter sich und ließ eine sichtlich verwirrte Patientin zurück.
Komische Frau! Als wäre mit einem Mal der Leibhaftige
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