Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
nicht wahr?“
„Ach, das.“ Sie winkte gleichmütig ab.
„Was werden Sie damit machen? Werden Sie Angel malen?“
„Hä?“ Ihre flache Hand klatschte an die Stirn. „Um Gottes willen, nein!“ Sie lachte schrill und es klang geradezu hysterisch. „Nein, ganz bestimmt nicht. Auf keinen Fall! Es waren … Versuche. Sie sind nicht mal sonderlich gelungen und man müsste schon vollkommen blind sein, um etwas anderes zu behaupten. Portraits waren noch nie …“ Sie brach ab, weil sie der interessierte Gesichtsausdruck des Doktors irritierte.
„He, he, he!“, fuhr sie ihn unangebracht heftig an und klopfte mit dem Zeigefinger auf den Block. „Das Gestrichel war nichts anderes als ein Zeitvertreib im Krankenhaus. Oder ist Ihnen entfallen, dass Ihr Freund während meiner Besuche nicht sehr gesprächig war? Also habe ich mich anderweitig beschäftigen müssen.“
Resolut grapschte sie nach den Blättern, um dem Mann zu zeigen, was sie damit vorhatte. Er indes griff dermaßen schnell nach ihren Fäusten, dass sie die Bewegung seiner Hände gar nicht sah und den Druck seiner Finger trotzdem bereits spürte. Ihr Kopf schnellte nach oben. Wie erstarrt blickte sie in seine funkelnden Augen, mitten hinein in das tiefe, geheimnisvolle Blau. Dass ihr die Zeichnungen aus den Fäusten glitten und auf dem Tisch in einer Kaffeepfütze landeten, bemerkten weder Susann noch der junge Arzt. Seine langen Finger hielten ihre Hände, inzwischen behutsam und sanft, als wären sie aus kostbarem Porzellan.
„ Nicht. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Glauben Sie mir, ich bin nicht mit Blindheit geschlagen. Und ich halte diese Skizzen für außerordentlich gelungen. Sie sollten sie nicht derart achtlos vernichten.“
Während er sprach, hatte sie das Gefühl, unter Strom zu stehen . Susann schnappte nach Luft und schluckte mehrmals, bis sie sich endlich so weit gefasst hatte, um ihn anzugiften: „Was wissen Sie denn schon davon? Außerordentlich gelungen“, äffte sie ihn nach und lachte spöttisch. „Pah! Das zeigt, dass Sie nicht die geringste Ahnung haben! Oder meinten Sie vielmehr damit, Ihr Freund sei so außergewöhnlich?“
Ungestüm befreite sie sich aus der Umklammerung des Arztes und wischte die Blätter von sich weg. „Ich brauche diesen Müll nicht. Nehmen Sie das Zeug und werden Sie von mir aus glücklich damit.“
Mit erstaunlich höflicher Gelassenheit verfolgte der Arzt Susanns Wutausbruch, wenngleich er sich keinen Reim auf ihren Ärger machen konnte. Wieso war sie wütend? Auf ihn? Was hatte er falsch gemacht? Die Feststellung, sie sei eine begnadete Künstlerin, konnte kein Grund sein zu explodieren wie der Vesuv anno Dunnemals. Natürlich hatte sie Recht, er würde nie behaupten, ein Kunstkenner zu sein, doch es widerstrebte ihm, zerstört zu sehen, was einen Menschen, der ihm am Herzen lag, Zeit und Mühe gekostet und ebenso offensichtlich Vergnügen und Befriedigung verschafft hatte. Angel war ihrer Aufmerksamkeit wert gewesen. Viele Tage lang. Und nicht nur, weil sie ihre Zeit anders nicht totzuschlagen gewusst hätte. Außerdem gefiel ihm, wie sie seinen Freund sah. Würde sie jetzt die Bilder vernichten, wäre es, als würde sie damit auch Angel ausradieren.
„Haben Sie bemerkt, wie sich sein Gesichtsausdruck während der ganzen Zeit verändert hat? Ich war regelmäßig bei ihm, doch erst, nachdem ich Ihre Zeichnungen betrachtet habe, ist mir das aufgefallen. Bis zu dem Tag, als Sie das erste Mal bei ihm waren, lag er vollkommen teilnahmslos da, dem Tod näher als dem Leben. Aber schauen Sie.“ Seine langen Finger zogen ein Blatt aus dem Stapel Zeichnungen. „Hier zum Beispiel sieht er aus, als würde er interessiert Ihren Worten lauschen, während er auf dem hier ungeduldig auf etwas zu warten scheint. Auf anderen Bildern hat man den Eindruck, er wäre unheimlich amüsiert und müsste sich mit aller Kraft zurückhalten, um nicht loszulachen. Ich glaube … nein, ich bin überzeugt, Angel hat gehört, wenn Sie ihm Ihre Musik vorspielten und Sie sich mit ihm unterhielten. Und er hat auf die einzige ihm mögliche Weise auf Ihre Anwesenheit reagiert.“
Es entstand eine Pause, in der sie es vermieden, sich anzuschauen. Susann fühlte sich wie auf einem Pulverfass. Ein Streichholz würde genügen, um das gesamte Café in die Luft zu jagen. Ihre Handflächen wurden feucht, was mit Bestimmtheit nicht an der sommerlichen Hitze lag. Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn und drehte
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