Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
Susann Seiler. Diesen Namen hat er genannt, ja?“
Doktor Iwanow hielt den Blick voller Erstaunen auf sie gerichtet und schüttelte schließlich irritiert den Kopf. Seinem überraschten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, sann er gerade darüber nach, ob er ihr glauben durfte, dass dies ihr Name war.
Also, das war ja wohl der Gipfel der Frechheit! Sie war es nicht, die ein Problem mit der Wahrheit hatte!
„Karo?“
Gewohnheitsmäßig schaute sie auf und im selben Moment färbte maßloser Zorn ihr Gesicht tiefrot. Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, aus denen sie den Mann mit tödlichen Blicken bombardierte. Wie konnte sie auf diesen billigen Trick hereinfallen! Am liebsten hätte sie losgebrüllt vor Ärger, so einfach überrumpelt worden zu sein. Dieser Name ging Fremde nichts an!
„Karo. D as ist das einzige Wort, das Angel spricht, seit er wieder bei Bewusstsein ist“, versuchte Iwanow, die empörte Frau zu besänftigen. „Das können bloß Sie sein. Karo, so haben Sie sich Angel vorgestellt, nicht wahr? Wen sollte er sonst damit meinen?“
Völlig außer Fassung geraten sprang sie auf und schrie derart laut, dass sich einige Gäste sensationslüstern nach dem Pärchen umdrehten: „Woher wissen Sie, wie ich mich Angel vorgestellt habe? Sie waren nicht dabei. Und er hat es nicht gehört. Er war fast tot! Was wissen Sie noch alles?“, fragte sie lauernd. „Lief vielleicht die ganze Zeit über ein Tonband mit, Mister Geheimnisvoll? Ein sauberer Haufen seid ihr da drüben, wirklich wahr!“
Sie zwang sich vergeblich zur Ruhe, holte mit geschlossenen Augen mehrmals tief Luft und trank ihr Glas im Stehen leer. „Ich bedauere, mich auf diese blöde Sache eingelassen zu haben, echt mal, und hoffe von ganzem Herzen, dass ich euch nie wieder in diesem Leben begegnen muss. Denn das wäre mir immer noch früh genug. Richten Sie das Ihrem tollen Freund aus und dann lasst mich in Frieden!“
Sie riss ihren Rucksack an sich und wurde bereits im nächsten Moment blass. „Oh, Scheiße!“, zischte sie, als ihr wieder der fahnenflüchtige Geldbeutel einfiel.
Ungestüm schüttete sie den gesamten Inhalt auf den Tisch und wühlte mit fliegenden Fingern den wüsten Haufen aus Zeichenkohle und einzelnen Schlüsseln, verrosteten Büroklammern und Musikkassetten, Schreibzeug und Fotos, zerfledderten Groschenromanen und Kieselsteinen durch.
Das nächste „Verdammt“ aus ihrem Mund klang schon wesentlich klein lauter, nachdem sie selbst aus ihren Hosentaschen lediglich Müll zutage förderte. Dabei hatte es ein so wunderbar theatralischer Abgang werden sollen. Unwiderruflich und definitiv. Stattdessen vereitelte ein vergessener Geldbeutel den Abschied von der Klinik und den dort beschäftigten gut aussehenden, viel zu attraktiven Männern, die mühelos kleinen Mädchen die Augen verdrehen und das Herz brechen konnten. Himmel und Hölle, sollte sie jetzt allen Ernstes auf Gedeih und Verderb diesem Doktor ausgeliefert sein, da allein er die ihr drohende Entlarvung als Zechprellerin verhindern konnte?
Aus den Augenwinkeln nahm sie den amüsierten Zug um Iwanows Mund wahr und sie begriff, dass er die Ursache ihrer verzweifelten Suche längst herausgefunden hatte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Dieser selbstherrliche Schuft nutzte ihre missliche Situation schamlos aus und machte sich lustig über sie, zerrte dieses Desaster ins Lächerliche und machte aus ihrer Tragödie eine alberne Komödie!
Zu ihrem großen Ärger spürte sie den sanften Druck seiner Hände auf ihren Schultern.
„Setzen Sie sich“, forderte er sie ruhig, nichtsdestotrotz bestimmt auf und ergänzte: „Frau Seiler“, wobei er ihren Namen derart verächtlich betonte, dass ein Schauer durch ihren Körper zog.
Der eisige Blick, der seinen Worten folgte, verschlug ihr den Atem. Der Ausdruck in den dunklen Augen war eine gefährliche Mischung aus Bewunderung und Verlangen, doch genauso deutlich waren Missbilligung und Enttäuschung zu erkennen. Unwillkürlich zog sie den Kopf ein und ließ sich gehorsam auf ihren Platz sinken. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass er sie notfalls mit Gewalt zurückhalten würde.
Sie starrten sich an, bis ihr auffiel, dass es um sie herum sehr still geworden war. Sämtliche Gäste im Café hatten innegehalten und beobachteten sie wie Zuschauer bei einem Boxkampf.
Ding, ding, ding. Runde zwei.
„Karo, bitte, Sie dürfen nicht gehen. Nicht so … so überstürzt. Unüberlegt und eigensinnig. Angel hat
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