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Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)

Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)

Titel: Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Pilz
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für einen Moment ihre Augen fest zu.
    Dann schluckte sie ihre Angst hinunter und stellte sich der Realität.
    Emily richtete sich stöhnend auf und im selben Moment hörte sie, wie sich an der gegenüberliegenden Seite des Raums etwas bewegte. Ihr Blick schnellte in diese Richtung, während sie sich selbst auf allen vieren rückwärts bewegte, bis sie mit ihren nackten Füßen gegen eine Wand stieß. Sie drückte sich mit dem Rücken an die groben Steine und stand auf. Es war, als würden die rauen Spitzen der Mauer sie weiter und weiter in die Wirklichkeit schieben, doch sie konnte dennoch nichts erkennen. Der hintere Teil des Raums lag im Dunkeln.
    »Setz dich wieder hin!«, herrschte er sie an.
    Emily zuckte zusammen und tat aus reinem Reflex sofort, was er ihr befohlen hatte. Sie zog ihre Beine zu sich heran und umschlang sie mit beiden Armen, während sie weiter in die Richtung starrte, aus der die Stimme gekommen war.
    Nur wenig Licht drang in das alte Gemäuer, das vielleicht einmal Teil eines Hauses gewesen sein mochte, nun aber einer Ruine glich. In den Fenstern fehlte das Glas, der Boden war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Es roch nach Moder und nach nassem Stein, auf den mit nervenzehrender Regelmäßigkeit Tropfen fielen. Tik. Tik. Tik.
    Wer auch immer sie hierher gebracht hatte, hielt sich in einem der Schatten verborgen.
    In Büchern hieß es in solchen Momenten immer, dem Opfer schwirrten tausend Gedanken im Kopf herum. Emily hatte nur einen, doch der drehte sich dafür in Dauerschleife.
    »Ich verstehe das nicht«, brachte sie schließlich hervor. Sie zog die Beine noch enger an ihren Körper heran und presste die Kiefer fest aufeinander. »Was …?«
    »SSSSSSHHHHHHHHHHHHHH!«
    Erschrocken hielt sie die Luft an.
    Mit katzenhafter Geschwindigkeit kam die schwarze Gestalt auf sie zugeschossen und blieb etwa einen Meter vor ihr stehen. Dort ging der Mann in die Hocke, angespannt wie ein Raubtier, und starrte sie an.
    Emily schluckte, obwohl ihre Kehle sich trocken anfühlte wie Reispapier. Ihre Augen brannten, aber sie traute sich nicht zu blinzeln, aus Angst, die Kreatur könnte eine Bewegung in ihre Richtung machen.
    Im Halbdunkel sah der Mann aus wie der Teufel: ein buckliges Wesen mit langgezogenem Gesicht und spitzen Auswüchsen rechts und links.
    Erst nach einigen Sekunden erkannte Emily, dass sich das Licht nicht in Hörnern brach, die seitlich aus seinem Kopf wuchsen, sondern in schlohweißen Schläfen, die gegen das pechschwarze Resthaar wie Signalpunkte anstrahlten. Auch er hatte die Arme um seine Knie geschlungen, aber im Gegensatz zur schockgefrorenen Emily schaukelte er seinen Körper sanft vor und zurück.
    Mit Augen wie Kohlen fixierte er seine Beute.
    Dann schüttelte er langsam den Kopf.
    »Unfassbar«, wisperte er.
    Emily sagte nichts.
    »Du hast dich überhaupt nicht verändert. In all den Jahren nicht.« Er legte den Kopf schief und betrachtete sie nachdenklich. Dann schnellte seine Hand nach vorn und griff nach Emilys Kinn. Sie gab einen erstickten Laut von sich, und er drückte noch fester zu und zerrte ihr Gesicht zu sich heran.
    »Wie hast du das gemacht?«, zischte er. Seine helle Stimme passte so gar nicht zu seiner tiefschwarzen Erscheinung.
    »Ich … ich … verstehe nicht«, wiederholte Emily. Es kostete sie ihre ganze Kraft, diesen einen Satz einigermaßen ruhig herauszubringen. Am liebsten hätte sie sich wie ein Baby freigestrampelt von dieser kalten Hand, diesem heißen Atem und diesem durchdringenden Blick.
    Als er sie abrupt losließ, atmete sie erleichtert auf, obwohl sie durch die Wucht der Bewegung mit dem Hinterkopf gegen die Mauer knallte.
    »Was verstehst du nicht?«, fragte er, und sein Tonfall klang bedrohlicher als das Knurren eines Hundes.
    Emily tastete mit einer Hand nach der schmerzenden Stelle an ihrem Hinterkopf.
    Ihr Entführer erhob sich und huschte in die Ecke zurück, aus der er gekommen war. Sie hörte das Geräusch eines Reißverschlusses, dann ein Rascheln. Als er sich umdrehte und zu Emily zurückhastete, hielt er ein blitzendes Skalpell in der Hand. Er ließ sich an derselben Stelle in der Hocke nieder wie zuvor.
    »Was verstehst du nicht?«, wiederholte er aufreizend langsam. »Dass ich im Gefängnis alt und grau geworden bin? Dass die letzten dreißig Jahre die Hölle waren? Dass von meinem Leben nichts mehr übrig ist? Oder dass du immer noch so unverschämt schön bist wie damals? Von keiner Falte gezeichnet. Um kein Jahr

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