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Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)

Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)

Titel: Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Pilz
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gealtert.«
    Draußen ging die Sonne auf. Immer mehr Strahlen brachen durch die Wolken und schickten Lichtschwerter ins Innere von Emilys Verlies. Der Himmel hier konnte magisch sein, das wusste sie inzwischen.
    Während ihr Entführer sprach, heftete sie ihren Blick auf die funkelnde Waffe, die er mit fast bewundernswertem Geschick in seiner Hand drehte. Das Licht brach sich in der Klinge und warf flirrende Muster an die schmutzigen Steinwände. Wie betäubt beobachtete Emily das wirre Glitzerspiel, bis sich aus den Worten »damals«, »alt und grau« und »die letzten dreißig Jahre« urplötzlich ein Sinn formte. Langsam wandte sie den Blick ab und starrte ihrem Kidnapper mit großen Augen ins Gesicht.
    Er meint meine Mutter. Er verwechselt mich. Er meint meine Mutter. Er verwechselt mich.
    »Ich«, krächzte sie, doch er warf nur den Kopf zurück und lachte so laut und irre und anhaltend, dass Emily sich verzweifelt fester mit dem Rücken an die Wand drückte, als gäbe diese ihr einen Fluchtweg frei.
    »Ich«, japste er unter haltlosem Gelächter, »ja, ich auch!« Tränen liefen über sein hageres Gesicht, und er wischte stöhnend und nach Luft schnappend mit dem Handrücken über seine eingefallenen Wangen, das Skalpell in der Hand.
    Es dauerte unendliche Minuten, bis er sich beruhigt hatte, dann stand er auf und sah ausdruckslos auf Emily herab.
    »Du enttäuschst mich«, sagte er kalt. Während er sich umdrehte und in die Schatten verschwand, fügte er hinzu: »Ich hätte dich intelligenter eingeschätzt. Damals kamst du mir recht smart vor. Aber vielleicht hat die Zeit an dir ja doch ihre Spuren hinterlassen.«
    Mit diesen Worten kam er zu ihr zurück, ein aufgerolltes Seil in der Händen.
    »Ich würde vorschlagen«, erklärte er in süffisantem Tonfall, »wir warten auf deinen Freund.« Bei seinem Lächeln zog sich Emilys Magen zusammen. »In der Zwischenzeit sollten wir ein bisschen Spaß haben, findest du nicht?«
    Emily konnte kaum aufsehen, da war er schon neben ihr und riss an ihren Armen. Sie biss sich auf die Lippen, als er sie von der Wand wegzog, ihre Handgelenke grob auf ihrem Rücken zusammenbrachte und das Seil darumschlang. Er zog den Knoten so fest, dass die raue Schnur in Emilys Haut schnitt, aber das war nichts, nichts im Vergleich zu der Angst, die ihr die Kehle zuschnürte.
    Spaß haben. Die Worte hingen in der Luft, mächtig und bedrohlich, und raubten ihr den Atem. War es das nun? Würde er … was würde er ihr antun?
    Emily schloss die Augen, als er sie von hinten an sich heranzog. Ein Arm umschlang ihren Hals, eine Hand spielte mit ihren Haaren. Während er seine Finger durch die dicken Strähnen gleiten ließ, brachte er seinen Mund widerlich nah an ihr Ohr.
    »Keine Sorge«, flüsterte er. »Du wirst jetzt nicht sterben. Noch nicht.«
    Er fügte ihr keine tiefen Wunden zu, nur oberflächliche Schnitte. Und Emily gab keinen Laut von sich. Nicht einen.
    »Ist schon gut, ich weiß was ich tue«, raunte er ihr zu. »Daran erinnerst du dich sicher, oder?«
    Tief in Emilys Innerem blitzte eine Erkenntnis auf, doch sie konnte sie nicht festhalten. Also verschwand sie wieder.
    Er setzte das Skalpell an ihren Unterarmen an, ihrer Schulter, ihrem Hals, er schob ihren Pullover zur Seite und ritzte in ihre Haut. An manchen Stellen quoll Blut aus den Schnitten, doch nie sonderlich viel.
    Emily hielt die Augen geschlossen und bemühte sich, die helle Stimme auszublenden, die in ihr Ohr summte, seine Nähe zu verdrängen, die heiß in ihrem Nacken saß. Stattdessen konzentrierte sie sich auf den Schmerz, der an ihrem Bewusstsein nagte und sie wachzurütteln schien.
    Konzentrier dich, befahl sie sich. Denk nach.
    Er hielt sie für ihre Mutter.
    Und er machte ihre Mutter dafür verantwortlich, dass er im Gefängnis gesessen hatte. Wieso? Soweit Emily informiert war, war ihre Mutter Erzieherin gewesen, doch auf der anderen Seite: Was wusste sie schon? Spätestens seit gestern Abend wusste sie doch überhaupt nichts mehr.
    Ein scharfer Schmerz ließ sie die Luft anhalten, als ihr Entführer tiefer als bisher in die Haut ihres Unterarms ritzte. »Entschuldigung«, sang er leise in ihr Ohr, und Emily erschauerte. Sie fühlte, wie warmes Blut über ihre Haut rann, auch wenn sie es nicht sehen konnte.
    Sie schloss abermals ihre Augen, bündelte ihre Gedanken. Sie warteten auf jemanden, auf ihren Freund, den Freund ihrer Mutter. Wer konnte das sein? Ihr Vater? Wartete dieses grässliche Monster, dass ihr

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