Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)
gleichen nachdenklichen Gesichtsausdruck und dem gleichen jungenhaften Aussehen wie eben in diesem Augenblick.
Wer war er? Und wo kam er her?
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie endlich ihre Sprache wiedergefunden. »Ein Zeitsprung.«
»Zeitreise, um präzise zu sein.« Matt hatte sie nicht aus den Augen gelassen, als hätte er gefürchtet, sie könnte wieder ohnmächtig werden. Dann hatte er gelächelt. »Ich hoffe doch , dass wir zu unserem Ausgangspunkt zurückkehren.«
»Verstehe.« Emily hatte gar nichts verstanden, und Matts Lächeln hatte sie noch mehr verwirrt. Er war genauso unsicher wie sie selbst gewesen, und das hatte ihr Angst gemacht.
»Du willst mir erklären, dass du ein Zeitreisender bist?«, hatte sie schließlich gefragt.
Matt hatte sie nur angesehen. »Ich will dir erklären, dass auch du eine Zeitreisende bist.«
Am Ende musste die Erschöpfung sie überrollt haben. Das Letzte, an das sie sich erinnerte, war Matt, der aufgestanden war, um das Essen vom Herd zu nehmen.
Und nun war Emily allein im Zimmer. Sie fröstelte, doch die Kälte hatte nichts mit dem erloschenen Feuer zu tun. Noch nie hatte sie sich so verloren gefühlt. Noch nie war sie sich so wenig darüber im Klaren gewesen, wer sie war, was sie wollte, wo sie herkam, wo es hinging. Tausend Fragen brannten auf ihren Lippen, aber es gelang ihr nicht, auch nur eine davon klar zu formulieren. Was Matt ihr gestern erzählt hatte, war unfassbar im allerwörtlichsten Sinne. Sie konnte es nicht fassen. Und in Worte fassen erst recht nicht.
»Ich bin … was?«
»Du hast die Fähigkeit, durch die Zeit zu reisen. Jeder in Hollyhill hat diese Fähigkeit. Deine Mutter hatte sie. Und jetzt du.«
Emily schüttelte sich. Wo war Matt jetzt? Sie hatte keine Ahnung, was sie ihm sagen sollte, trotzdem musste sie ihn finden.
Vorsichtig schob sie sich aus dem Sessel – sie fühlte sich steif und eingerostet. Dann ging sie langsam zur Tür, drückte die Klinke herunter und lauschte in den Gang hinein. Nichts.
Schnell huschte Emily durch den Spalt und schlich zur Treppe. Es war so still im Haus, dass sich die kleinen Härchen in ihrem Nacken aufrichteten. Diesmal allerdings glaubte sie nicht, dass Matt sie alleingelassen haben könnte. Nicht nach dem, was er ihr gestern offenbart hatte. Wahrscheinlich war er nach oben gegangen, um selbst ein wenig zu schlafen.
Behutsam tastete sich Emily die Treppe hinauf. Die Stufen ächzten unter ihrem Gewicht, wenn sie nicht aufpasste, und sie wollte Matt auf keinen Fall wecken. So brauchte sie ewig, um den Treppenabsatz zu erreichen.
Oben angekommen, hielt sie die Luft an und lauschte.
Nichts.
Doch als sie nach rechts in den düsteren Gang abbiegen wollte, wäre sie vor Schreck beinahe rückwärts die Stufen hinuntergekippt.
»Verdammt«, zischte sie, nachdem sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, »wer bist du? Ethan Hunt?«
Matt lehnte an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete belustigt ihre Stehversuche.
»Ethan, wer?«, fragte er amüsiert. »Ich dachte eben, Miss Marple käme die Treppe heraufgaloppiert.«
Emily schnaubte. »Ich dachte, du schläfst.«
»Und ich dachte, du schläfst. Es hätte sonst wer hier herumschleichen können.« Mit einer Hand fuhr Matt sich durch seine Haare, und allmählich erkannte Emily in dieser Geste ein Muster. Auch Matt hatte seine unsicheren Momente, daran gab es keinen Zweifel mehr.
Sollte sie das freuen oder beunruhigen?
»Ich habe hier oben nach etwas zum Anziehen gesucht«, unterbrach er ihre Gedanken. »Wir sollten nicht mehr allzu lange hierbleiben.« Damit drehte er ihr den Rücken zu und steuerte das Zimmer am hinteren Ende des Flurs an. Emily folgte ihm unaufgefordert.
»Wo wollen wir denn hin?«, fragte sie beiläufig, während sie sich in dem Raum umsah. Was stellt man denn an im Jahre 1981?, dachte sie spöttisch. Kino? Konzert? McDonald’s? Gab es McDonald’s überhaupt schon?
»Ich denke nicht, dass wir hier etwas für dich zum Anziehen finden«, fuhr sie fort, während sie sich auf dem blümchengeschmückten Himmelbett niederließ. »Es sei denn, du suchst nach einem hübschen Kleidchen.«
Matt verzog keine Miene. »Welche Schuhgröße hast du?«, fragte er.
Emily antwortete nicht, sondern ließ ihren Blick über die zartrosa Blümchentapete und den pinkfarbenen Flauschteppich gleiten. Sie fühlte sich wie auf einer Wolke – mehr Mädchenzimmer ging einfach nicht. Als Matt ihr den himbeerfarbenen
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