Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)
ihm sicher aufgefallen, dass Quayle sie herausgepickt hatte und nichts sonst.
»Du hättest ihn nicht noch ermuntern müssen.« Emily blinzelte überrascht. Sie hatte nicht gemerkt, dass sie den letzten Satz laut ausgesprochen hatte, doch nun fühlte sie ihn auf ihren Lippen nachklingen. Matt schien ihr die Beleidigung nicht übel zu nehmen. Zwar war sein Blick noch voller Vorwürfe, doch nun lag auch etwas anderes darin. Erleichterung. War er froh darüber, dass er sie gefunden hatte? Dass ihr nichts passiert war? Oder dass sie nicht dumm genug war, sich von ihm abzusetzen und sich allein auf mörderische Spielchen einzulassen?
»Und wo bist du gewesen?«, fragte sie schließlich. »Ich habe ewig bei den Programmtafeln gewartet, aber du bist nicht aufgetaucht.«
»Und deshalb drehst du sofort ab und läufst allein weiter?«
Emilys Augen verengten sich, und Matt hob abwehrend die Hände. »Okay, schon gut«, lenkte er ein. »Ich wollte Eve nicht unnötig vor die Argusaugen laufen und dachte, ich nehme einen anderen Weg. Außenrum sozusagen.« Er zuckte mit den Schultern. »War etwas schwieriger als gedacht.« Für einen Moment lang musterte er Emily, als suche er etwas in ihrem Gesicht, dann fuhr er fort: »Hey, ich wollte dich wirklich nicht alleinlassen da drin.«
»Ich habe meinen Vater gesehen.« Die Worte sprudelten nur so aus Emily heraus. »Er«, begann sie und stockte dann. Er kennt Quayle, hatte sie sagen wollen, doch der Satz schien sich in ihrer Kehle festzuklammern. Sie war sich nicht sicher, ob sie schon bereit war, darüber zu sprechen, was sie gesehen hatte. Geschweige denn, was sie gefühlt hatte. Fürs Erste stand sie nur da und hielt sich an Matts blauen Augen fest, die ihr auf einmal ungeheuer tröstend erschienen.
Und dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.
Zunächst drang das Klappern rascher Schritte zu ihnen nach draußen, dann knirschte ein Scharnier und die robusten Stahltore zur Großküche schwangen auf. Emily hörte Stimmen, doch da hatte Matt sie schon gepackt und war mit ihr gesprungen: von der Ladefläche, auf der sie standen, etwa anderthalb Meter hinunter auf den Parkplatz. Emily biss sich auf die Lippen, um einen Schrei zu unterdrücken, als sie schmerzhaft auf dem Asphalt landete. Matt zog sie hinter einen der Müllcontainer und legte einen Finger auf seinen Mund. Emily hielt die Luft an, während sie beide in die Hocke gingen und sich mit dem Rücken an die Wand ihres Verstecks drückten.
Sie erkannte die Stimme sofort.
»Na, das hat ja wunderbar geklappt.«
Hatte sie wirklich geglaubt, die Stimme ihrer Mutter über all die Jahre vergessen zu haben? Voller Verwunderung lauschte Emily auf die Worte der Frau, die sie als Kind in den Schlaf gesungen hatte.
Sie konnte sie nicht sehen.
Also drehte sie ihren Kopf und schob sich vorsichtig an den Rand des Müllbehälters. Sie beachtete Matt nicht, der sofort eine Hand um ihren Arm gelegt hatte; sie drängte fest entschlossen zur Seite, und dann sah sie sie.
Ihre Mutter stand mit dem Rücken zu ihr. Sie trug einen schwarzen, knielangen Rock, eine weiße Bluse und eine passende Schürze, die sie auf ihrem Rücken mit einer Schleife festgebunden hatte. Die dunklen, rotbraunen Haare – Emilys Haare – waren zu einem hohen Pferdeschwanz frisiert. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und tippte mit einem ihrer Ballerinas ungeduldig auf den Beton. Würde sie sich nur einen Zentimeter weiter nach rechts drehen, könnte Emily ihr Profil erkennen.
»Es ist doch noch gar nichts passiert.« Beim Klang von Joshs Stimme zuckte Emily spontan zurück.
»Wir sind erst ein paar Stunden hier, gib dem Ganzen noch etwas Zeit«, fuhr Josh fort.
Esther schnaubte. »Sicher«, antwortete sie und ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. »Und wie viel Zeit würdest du vorschlagen? So viel, dass er sich Opfer Nummer vier schnappen kann, während wir in der Küche Gläser spülen? Eve sagt, er hat sich bereits ein neues Mädchen herausgepickt.«
»Aber noch ist nichts geschehen. Wir können immer noch Kontakt zu ihm aufbauen.«
»Ja, aber bisher hat er mich keines Blickes gewürdigt, obwohl ich ihn den gesamten Vormittag über mit Erfrischungen quasi ertränkt habe.«
»Nun, womöglich hättest du dich weniger auf diesen anderen Kerl konzentrieren sollen, denn dem scheinst du sehr wohl aufgefallen zu sein.«
Eben noch hatten sich die aufgeregten Stimmen überschlagen, nun entstand eine Pause, in der nichts zu hören war außer dem
Weitere Kostenlose Bücher