Zurückgeküsst (German Edition)
etwas Schlimmes passieren, wann das „dicke Ende“ kommen würde. Und wie sehr es wohl wehtun würde, wenn das geschah.
Ich war zwanzig, großgezogen von einem Vater, der nicht über Gefühle sprach, verlassen von einer Mutter, die mich einst über alles geliebt hatte. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, aber im Grunde meines Herzens lauerte die Angst, dass auch Nick mich jederzeit verlassen könnte. Wenn meine eigene Mutter es getan hatte … warum dann nicht auch ein Mann? Ambesten wäre es, sich gar nicht erst zu verlieben – und mich zu schützen, so gut es ging.
Falls Nick spürte, dass etwas nicht stimmte, so fragte er nicht danach, und selbst wenn er es getan hätte, hätte ich ihm nicht die Wahrheit gesagt. Wenn die eigene Mutter dich verlässt, ohne zurückzublicken, dann ist es schwer, zu glauben, dass du wahrhaft und vorbehaltlos geliebt werden kannst. Die Liebe ist sozusagen für dich gestorben. Verstehen Sie, was ich meine?
Also … Nick und ich hatten Spaß. Ich nahm die Sache leicht, und wenn er mich einmal zu … ernst oder wie auch immer ansah, sagte ich ihm, er solle nicht so blöd gucken, und er gehorchte. Der Sex allerdings war unglaublich. Zwar hatte ich keine Möglichkeit, ihn mit irgendetwas zu vergleichen, aber ich wusste es einfach. Ich tat, als würde es mir nicht viel bedeuten, und wir sprachen nicht darüber, aber ich wusste es trotzdem.
Und Nick gab mir ausreichend Freiraum. Er drängelte nicht, sprach nie wieder von Liebe und auch nicht von Heirat. Als er nach Abschluss seines Studiums nach New York zog, acht Monate nachdem wir uns kennengelernt hatten, war mir tatsächlich, als müsste ich sterben. „Fahr vorsichtig!“, rief ich ihm zu, als er in sein zerbeultes Auto stieg und das beklemmende Gefühl in meiner Brust mich zu zerreißen drohte. Ich lächelte, während er den Motor anließ. Holte mein Handy heraus und gab vor, SMS zu lesen, die ich gar nicht hätte sehen können, weil meine Augen vor Tränen blind waren.
Da stellte Nick den Motor wieder ab, sprang aus dem Wagen, nahm mich in die Arme, und wir drückten einander so fest, dass es wehtat. Er küsste mich voller Leidenschaft. „Ich werde dich vermissen“, flüsterte er, und ich nickte, unfähig, ein Wort herauszubringen. Es tat so weh, sich nur einen einzigen Tag ohne ihn vorzustellen, geschweige denn alle Tage, denn natürlich rechnete ich nicht damit, dass es mit uns weiterginge.
Doch das tat es. Nick rief mich jeden Tag an, und wir redeten stundenlang. Er schrieb mindestens einmal pro Tag eine E-Mail, schickte mir kitschige New-York-T-Shirts und Yankees-Puppen, durch deren Köpfe ich dann Stecknadeln steckteund sie ihm zurückschickte, und richtig guten Kaffee aus einem kleinen Laden in der Bleeker Street. Im Sommer machte ich ein Praktikum in einer Kanzlei in Hartford, und Nick fuhr mehrmals pro Monat mit dem Zug nach Connecticut, um mich zu sehen, da ich mich irgendwie nicht traute, ihn zu besuchen.
Im Oktober starb seine Mom ganz überraschend an einem Aneurysma, und ich überwand mich und fuhr zur Beerdigung nach Pelham, New York. Als ich die Kirche betrat, sah Nick mich überrascht an, und die Liebe und Dankbarkeit, die aus seinem Blick sprachen, brachen mir fast das Herz. Er stellte mich seiner kleinen Familie vor – einer Tante, ein paar Cousins und Cousinen. Nicks Eltern hatten sich vor langer Zeit scheiden lassen, und seine Mom hatte nicht wieder geheiratet. Als ich zur Uni zurückkehrte, schickte ich ihm lustige Cartoons aus dem New Yorker, die ich in der Bücherei kopiert hatte, und wenn er zu Besuch kam, backte ich Kekse.
Er war scharfzüngig und smart und aufmerksam und respektlos – und ein bisschen wehmütig –, und diese Kombination zog mich immer wieder in den Bann. Das starke Gefühl, das ich empfand, wenn ich ihn sah, das Kribbeln, das allein der Klang seiner Stimme auslöste, seine Wärme, sein Duft, alles war … erschreckend. Wir waren – verzeihen Sie mir! – Seelenverwandte, auch wenn ich mir eher eine Gabel in den Hals gerammt hätte, als es auszusprechen.
Also versuchte ich, trotzdem locker zu bleiben, mied die eher ernsten und intensiven Momente, sprach die drei kleinen Worte niemals aus. Nicht bis zu jener Nacht in Amherst, als Nick mich übers Wochenende besuchte. Ich hatte mich für die letzten Jahre des Jurastudiums bei mehreren Universitäten beworben, und die Broschüren lagen verstreut in meinem Zimmer. Nicht eine der Hochschulen lag in New York. Obwohl die
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