Zurückgeküsst (German Edition)
hören. Bob lief jetzt gelber Schaum aus dem Maul, während er seelenruhig seine bevorzugten Blätter weiterkaute.
„Bob, das reicht jetzt“, schalt ich ihn mit meiner Gerichtssaalstimme. „Hüa!“ Das klang nicht sehr beeindruckend. „Bob, schieb deinen Arsch weiter!“ Zur Antwort hob er den Schweif und verteilte Dünger auf dem Reitpfad. Ich trat dem Vieh behutsam in die Seiten. Es rührte sich nicht. Also versuchte ich es ein wenig heftiger. Nichts. „Wie, möchtest du gern kastriert werden, Bob?“, erkundigte ich mich zähneknirschend. Das und ein weiterer fester Tritt setzten ihn endlich in Bewegung, allerdings im Schneckentempo. Aber immerhin ging es weiter. Ich hörte Willa lachen und musste schmunzeln. Sie war so aufrichtig, so großherzig, so liebenswürdig. Dem blassen, verschreckten Mädchen von damals war sie wirklich längst entwachsen.
Je weiter wir uns vom See entfernten, desto deutlicher hörte ich das konstante Plätschern und Rauschen eines Flusses. Bob trottete vorwärts und gab hin und wieder ein Grunzen oder leichtes Schnauben von sich. Etwa zwanzig Meter vor mir konnte ich noch den Schweif von Dennis’ Pferd erkennen. Er schien nicht zu bemerken, dass ich den Anschluss verloren hatte, und es machte mir auch nichts aus, ehrlich, denn von Familientreffen bekam ich meistens Pickel. Richtige Pickel – immerhin war ich ein Rotschopf mit empfindlicher Haut und so. Familientreffen fand ich anstrengend … da waren mein renitent schweigsamer Vater, das oft hirnlose Geplapper von BeverLee, meine endlosen Sorgen um Willas unreife Entscheidungen … Seit Dennis war es allerdings leichter geworden – er ging locker und entspannt mit Menschen um und hatte die wunderbare Fähigkeit, in jedem das Beste zu sehen.
Obwohl ich nun weit hinter den anderen herzockelte, hatte ich dennoch das Gefühl, als wären Nick und ich durch ein unsichtbares Band verbunden. Das unangenehm elektrisierende Kribbeln war immer noch da, und auch wenn ich meinen Exmann im Moment nicht sehen konnte, fühlte es sich so an, als wüsste er genau, wo ich war.
Ich war gut darin, die Kontrolle zu behalten – in meinem Beruf war das unerlässlich. Man musste sich daran gewöhnen, dass Leute herumkeiften oder schluchzten oder einen hassten.
Das Schlimmste, was man tun konnte, war, darauf zu reagieren. Es war allerdings schwieriger als erwartet, Nick auszublenden. Nicht einmal der gut aussehende, kernige Dennis half dabei, und darüber, was das bedeutete, wollte ich jetzt lieber nicht nachdenken.
Die Schönheit der Natur legte sich wie beruhigender Balsam auf meine gereizte Gemütslage. Das Sonnenlicht brach sich goldene Bahnen zwischen den Zedern und Hemlocktannen, und der ganze Wald schimmerte in unwirklichem Blaugrün. Vögel hüpften und flatterten zwischen den Zweigen. Ihr Gesang war so anders als die kehligen Schreie der Möwen und das heisere Krächzen und Krakeelen der Krähen zu Hause. Ein Specht bearbeitete einen toten Ast, und in der Ferne hörte ich ein eigenartiges, flötenähnliches Trillern, das sich mit hundeähnlichem Gebell mischte. Zu schade, dass Coco in der Lodge geblieben war. Sie wäre hier sicher gern herumgestromert und hätte die Gegend erkundet. Und was für ein Geruch! Der Duft von Harz und Nadeln wurde immer stärker, und ich sog ihn regelrecht in meine Lungen.
Es war wie im Paradies, und ich war beinahe froh, hier zu sein.
Dann machte Bob völlig überraschend einen Satz, sodass ich fast hinunterfiel, und drehte sich herum. „Ho, mein Junge“, sagte ich und klammerte mich am Sattelhorn fest. Bob gab ein komisches Geräusch von sich – ein heftiges, fast fiependes Schnauben durch die Nüstern – und entfernte sich von unserem Pfad, immer weiter in den Wald, wobei er mit dem Kopf auf und ab schlug. „Bob! Hör auf, Kumpel!“ Es war, als hätte er so etwas wie einen Anfall, so wie er schaukelte und zitterte. „Bob? Wir sollen nicht vom Weg … ach, du meine Güte!“ Mir blieb fast das Herz stehen.
Etwa dreißig Meter hinter mir, dort, wo wir gerade eben noch gewesen waren, stand mitten auf dem Weg – ein Bär. Ein großer Bär. Ein Grizzly, der auf allen vieren stehend sein nächstes Mittagessen begutachtete.
Ich fing an zu zittern. „Oh nein, nein, nein“, keuchte ich tonlos und klammerte mich am Sattelhorn fest, während Bobimmer weiter in den Wald trottete. „Geh weg, du Bär, bitte, bitte, bitte. Wir sind … äh … viel zu groß … um uns zu fressen … Oh, Mist!“
Bob blieb
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