Zurückgeküsst (German Edition)
„So, Willard, du ziehst dich jetzt am besten wieder um, und ich werde den Saum umnähen. Ich habe dafür extra meine Reisenähmaschine mitgebracht.“ Willa schlüpfte aus dem Kleid, sammelte ihre Klamotten auf und ging ins Badezimmer. „Harper Elizabeth, nun mach deiner Schwester doch nicht ständig ihr Glück madig!“, zischte meine Stiefmutter. „Hat dir an deinem Hochzeitstag etwa irgendjemand Vorträge gehalten? Hm?“
„Nein, Bev, aber rückblickend wäre das vielleicht gar nicht schlecht gewesen! Wenn man bedenkt, wie die Sache ausgegangen ist, oder? Und heute ist nicht Willas Hochzeitstag. Wir haben bis morgen Zeit, sie zur Vernunft zu bringen.“ Ich senkte die Stimme zu einem Flüstern. „BeverLee, ich sage ja gar nicht, das Christopher ein schlechter Kerl ist. Ich meine nur, dass die zwei noch warten sollten.“
„Wie lange denn? Zweieinhalb Jahre? Ich sehe keinen Ring an deinem Finger.“ Sie stemmte die Hände in ihre wohlgerundeten Hüften und zog eine Augenbraue hoch.
Touché. Und wie schade, denn der Ring, den ich gekauft hatte, war außerordentlich hübsch.
„Willard kann ihre eigenen Entscheidungen treffen“, fuhr meine Stiefmutter freundlicher fort. „Außerdem will ich endlich Enkelkinder, und da du ja offenbar noch nicht so weit bist, setze ich eben auf Willard. Es gibt Dinge, die sollen einfach sein, und es hat keinen Sinn, noch mehr Zeit zu verschwenden.“ Sie steckte die letzten Nadeln fest und stand auf. „Und jetzt mach ein fröhliches Gesicht, Mädchen. Wir gehen reiten!“
Eine Stunde später begutachtete ich mein Pferd, das nicht Seabiscuit hieß und auch kein bisschen so aussah, als könnte es ein Rennen gewinnen, geschweige denn überhaupt von der Koppel kommen, da es schon beinahe scheintot wirkte.
„Kann ich dieses Pferd wirklich reiten?“, fragte ich die danebenstehende verantwortliche Person, die entgegen meiner vorherigen Vorstellungen leider kein kerniger Cowboy mit wettergegerbten Lachfalten und rauchblauen Augen war, sondern eine etwa achtzehnjährige tätowierte und gepiercte … Göre, die ständig die Augen verdrehte.
„Yeah“, sagte sie und dehnte das Wort in zwei Silben, wie um ihre unendliche Geduld zu demonstrieren. „Das Pferd ist in Ordnung.“ Ihr Zungenpiercing ließ sie leicht lispeln. „Also, geht das? Dass Sie da irgendwie raufkommen, oder brauchen Sie irgendwie Hilfe oder so?“
„Nein, es geht schon“, gab ich zurück. „Aber ich finde … Bob …“ Und das war noch so eine Sache. Bob? Bob, das Pferd? „Unser Bob hier macht keinen so guten Eindruck, finden Sie nicht?“
„Also, der ist in Ordnung. Der macht das die ganze Zeit. Schon ewig.“
„Ja, das scheint mir auch so“, murmelte ich, aber da war das Mädchen auch schon verschwunden.
Alle anderen saßen bereits auf ihren Pferden, und nur BeverLee hatte Hilfe gebraucht. Dennis, der sich ausnehmend gut auf seinem Braunen namens Cajun machte, verströmte eine Aura wie Clive Owen als König Arthur, auch wenn er gerade eine SMS schrieb. Christophers Freunde aus dem Nationalpark machten so was offenbar ständig und saßen auf Pferden, die offensichtlich nicht schon mit einem Huf im Grab standen, so wie meines. Dad auf Moondancer wirkte sehr zufrieden. Er hielt die Zügel in einer Hand und stützte sich so lässig aufs Sattelhorn, als wollte er gleich mit seinen tausend Schafen zum Brokeback Mountain ziehen. BeverLee auf Cassandra wirkte trotz ihrer texanischen Herkunft, der pinken Nietenhose (mit höchst strapazierten Nähten) und den lila Cowboystiefeln, die recht verquer in den Steigbügeln hingen, weniger zufrieden. Ständig griff sie sich nervös in die hochtoupierte blonde Mähne. Christopher und Willa hatten sich Lancelot und Guinevere geschnappt und lenkten die Pferde geschickt zusammen, sodass sie knutschen konnten.
Und Nick. Offenbar hatte sein pferdebegeisterter Vater ihm einiges beigebracht, denn er wirkte auf seinem Rappen sehr entspannt, ignorierte mich und unterhielt sich angeregt mit seiner Angestellten Emily, deren Pferd ausgerechnet Sweetheart hieß. Also, bitte! Ich fragte mich, ob sie wohl mehr als seine Angestellte war … Zumindest sah sie ihn häufig mit großen, bewundernden Augen an und lächelte süß. Viel Glück, Kleine! dachte ich. Mein Beileid. Oh, und raten Sie mal, wie Nicks Pferd hieß. – Satan. Ich weiß. Sagen Sie nichts.
Ich drehte mich wieder zu Bob, versuchte, das Sattelhorn zu greifen und meinen Fuß in den Steigbügel zu stellen. Auch
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