Zusammen Allein
heim.
»Servus«, begrüßte mich Puscha.
Den leeren Beutel in den Händen schwenkend verkündete ich mit der Stimme einer Lehrerin: »Dieser Staat nimmt auf die Bedürfnisse der Menschen keine Rücksicht.«
Meine Großmutter lachte mich aus. Menschen, wo ich denn Menschen sehen würde, wollte sie wissen? »Ich sehe akkurat gleich aussehende Pappfiguren. Solange es Brot gibt, wird sich niemand wehren. Aber das muss ich dir sagen, ausgerechnet dir? Sonst nimmst du unseren obersten Genossen immer in Schutz. Hört bei den Schuhen der Spaß auf?« Sie grinste triumphierend. Sechs Jahre sei es her, fuhr sie fort, »da habe ich ein Paar Schuhe ergattert, ein Paar, das mir wirklich gefiel. Alles andere kauft man, weil es diese Dinge gibt und die Nachbarin einem Bescheid gesagt hat.« Jetzt geriet sie in Fahrt. »Er, dieser Bulă, ist dabei, alle Auslandsschulden zu be…«
Sie hatte das Wort noch nicht zu Ende gesprochen, da klingelte es an der Hoftür. Wir schauten uns an. Und schluckten hastig nicht nur vorbereitete Wörter, sondern auch vorgedachte Gedanken hinunter. Puschas Gesicht war krebsrot angelaufen. Waren wir abgehört worden, oder hatte ich im Kaufhaus zu offensichtlich das System beleidigt? Niemand wollte öffnen, deshalb gingen wir zu zweit. Auch Leo spürte, dass etwas nicht stimmte, begann wie wild zu bellen und war nicht zu beruhigen. Vor der Tür stand einer von den Geheimen. Und wir waren sicher, dass unser letztes Stündchen geschlagen hatte. Stolz blickte er uns an, öffnete seine Lederjacke, entnahm der Innentasche einen Zettel, wippte mit den Schuhspitzen.
»Wohnt hier Genosse Vasile Sungiu?«, wollte er wissen.
»Wie bitte?«
Noch bevor er den Namen wiederholen konnte, begriffen wir. Er kam nicht wegen uns.
»Nein«, stotterte Puscha, und ihr ausgestreckter Zeigefinger zeigte nach rechts. Da lang, sollte das heißen, bedien dich dort.
Dann, wir hatten das Tor gerade geschlossen, umarmten wir uns stumm.
Die Vorsicht hielt nicht lange. Noch am gleichen Abend nutzte Puscha die Gelegenheit, um erneut vom Westen zu schwärmen. Eine direkte Aufforderung an mich, endlich den Pass zu beantragen.
»Nur der Pass beschert dir die Freiheit. Ich meine nicht die Freiheit eines Vogels, damit du reisen kannst, wohin du willst, und Güter anhäufst, ich meine die Freiheit, ein Mensch zu sein, ohne diese ständige Angst.«
»Weißt du, was sie mit dem Vasile gemacht haben?«
»Ich habe seine Frau gefragt, aber sie weiß natürlich nichts. Letztes Mal haben sie ihn für fünfzehn Jahre eingelocht.«
»Weswegen?«, wollte ich wissen und stellte mir diesen gütigen alten Mann vor, der uns im Frühling Tulpen und im Sommer süße Butterbirnen vorbeibrachte.
»Joi, wie du fragst. Für nichts und wieder nichts natürlich, obwohl …«, Puscha war aufgestanden, um sich ein Glas mit Leitungswasser zu füllen, »… vielleicht hat er doch etwas ausgefressen, damals war er ja noch ganz jung, und für nichts bekommt man höchstens zehn Jahre.«
Nachdem sie ausgetrunken hatte, kam sie noch einmal auf ihr ursprüngliches Thema zurück. »Geh endlich mit mir aufs Amt und gib die Papiere ab.«
Doch ich wollte nicht, wollte immer noch nicht zu meinen Eltern. Dann fiel mir etwas ein.
»Wo wohnt eigentlich mein Otata?«
4
Das Schweigen besitzt eine Farbe, dunkler als alle natürlichen Farben, es ist schwarz. Es schluckt das Licht und trägt in sich die Fähigkeit zu wachsen, sich auszudehnen, die Tiefe eins Burggrabens zu erreichen. Das Schweigen ist dazu geeignet, darin zu ertrinken. Ich aber wollte leben und die Wahrheit wissen. Wer ist mein Großvater? Lebt er? Warum erfahre ich nichts über die Kindheit meiner Mutter?
Die Fragen stellte ich nicht zum ersten Mal, doch Puscha wich mir auch diesmal aus. Ich bettelte und tobte umsonst. Erst als ich das Album holte und den Finger auf ein Foto legte, lockerte sich die Erstarrung in ihrem Körper. Sie nickte. Und ließ eine Zugbrücke für mich herunter. Tapfer betrat ich das schmale wacklige Ding.
»Das ist er, nicht wahr?«
»Ja. Und jetzt leg es wieder zurück.«
Das Bild, klein, unscharf, mit gezacktem weißen Rand, zeigte eine hübsche junge Frau mit hochtoupierten Haaren und einen sehr schmalen Mann in Uniform. Die Frau war Puscha, den Mann neben sich hatte sie als einen ihrer Brüder vorgestellt. Doch ein Bruder legt seine Hand nicht besitzergreifend um die Schultern der Schwester, ein Bruder lächelt in die Kamera statt ins vertraute
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