Zusammen Allein
stampfen Sie jemand anderem auf die Haxen, so oder so ähnlich soll er gebrüllt haben, denn meine Großmutter musste sich vielmals entschuldigen. Erwin Schuller, auch er ein Siebenbürge, ließ sich nicht beruhigen. Trotzig zeigte er auf eine Haarlinie im Leder. Schuhwichse vielleicht, schlug meine Großmutter vor. Erwin Schuller aber schüttelte den schönen Kopf, folgte ihr. Folgte ihr bis vor die Tür der Familie Wegner,einem Cousin von Puschas Vater, meinem Urgroßvater. Dort sollte sie unterkommen. Die Familie lebte in einer kleinen Wohnung im dritten Stock. Im Parterre aber besaßen sie einen großen Verkaufsraum für Hundebekleidung. Das Geschäft ging besser, seit sie die neuen Trachtenmodelle ausstellten. Karierte Mäntelchen mit weißen Krägelchen und aufgenähten wattierten Westen. Die Myrthengasse war nicht leicht zu finden, und meine Großmutter schaffte es nicht, den aufdringlichen Kerl neben sich abzuschütteln. Ersatz verlangte er. Und wenn neue Schuhe nicht drin seien, dann doch wenigstens ein Probetanz. Wie sie denn hieße und woher sie komme, wollte er wissen, sie sehe ganz passabel aus, und tanzen könne sie vielleicht auch. Er sei auf der Suche nach einer Partnerin, fuhr er ohne Pause fort, seine sei krank geworden, schwanger, um Gottes willen, wie man sich in der jetzigen Zeit paaren und Kinder in die Welt setzen könne?
Man schrieb das Jahr 1939. In Siebenbürgen herrschte Euphorie, die Deutschnationalisten sahen sich bereits mit dem Reich vereinigt, doch Erwin Schuller war skeptisch. Ein österreichischer Anstreicher auf dem deutschen Kanzlerstuhl, was sollte das schon geben?
Mein Otata also war Tanzlehrer und nahm an Turnieren teil. Das stellte ich mir sehr schön vor. Wange an Wange mit zahlreichen Frauen, die unterschiedlich dufteten, die sich unterschiedlich anfühlten und zu ihm, dem Könner, dem Virtuosen aufschauten. Das war eine seiner Seiten, wie ich erfuhr. Da er aber auch hochtrabende Pläne schmiedete, musste er als Betrüger arbeiten, und so manche der hübschen Fräuleins wurde durch ihn ihre Ersparnisse los, weil er ihnen außer derLiebe auch noch eine glorreiche Zukunft im Versicherungswesen versprach. Bei meiner Großmutter hielt er sich zurück, denn sie besaß nichts, und in sie verliebte er sich wirklich. Doch die Zeit drängte. Zu dem Zeitpunkt, als Erwin Schuller sie kennenlernte, saß er bereits auf gepackten Koffern. Er wollte auswandern, nach Amerika. Das tat er auch, doch vorher tanzte er mit ihr, eroberte sie beim ersten Walzer und forderte sie auf, mit ihm das Schiff nach New York zu besteigen. Puscha aber wollte ihre Ausbildung beenden, sie war ehrgeizig und den Eltern zu Dank verpflichtet. Doch die Liebe war da, groß und exklusiv, und konnte nicht übersehen werden. Hart arbeitete sie Tag und Nacht, sie wollte ihre Ausbildungszeit verkürzen und musste doch weinend dem Zug hinterherwinken, der Erwin nach Hamburg brachte und von dort in eine andere Welt.
Mein Herz, du kommst nach
, schrie er,
wie soll ich ohne Herz leben, dort drüben
.
Wien, die Stadt der Liebe, der Düfte, der schönen Frauen und gut gekleideten Männer. Wien hatte sich für Puscha in eine farblose Großstadt verwandelt, in der sie litt. Doppelt litt, an der Trennung und an dem Leben, das in ihr wuchs. Verzweifelt schrieb sie Erwin, der im Bundesstaat Vermont gelandet war, von der Schwangerschaft; er solle sagen, was zu tun sei.
Oje, schrieb er, wie konnte das passieren? Nun denn, ich schicke dir einen Freund, der bringt Geld.
Was sie mit dem Geld machen sollte, schrieb er nicht. Der Freund kam sowieso nicht. Mit Mühe und Not beendete Puscha ihre Ausbildung. Zum Geburtsterminwollte sie rechtzeitig wieder zu Hause sein. Rumänien hatte Hitler Öllieferungen zugesagt, bot sich als Kriegshelfer an. Säbel wurden gewetzt, gegen Juden, Zigeuner und Linke. Und die dahinterliegende Gier lautete: Wohlstand und Macht zu konzentrieren oder neu zu verteilen. In Puschas Ohren klang das gut, die Ungewissheit jedoch, ob sie zu den Gewinnern oder Verlierern zählen würde, bereitete ihr große Angst.
Jedes Drama lebt von der Steigerung. Und selbst wenn man denkt, jetzt kann es nicht mehr schlimmer kommen, es kann. Als Puscha in Kronstadt eintraf, beide Hände mit Geschenken und Koffern beladen, ahnte sie nichts von den Ereignissen in der Schulmeistergasse. Ihre Eltern hatten gemeinsam den Freitod gewählt. Die Gastwirtschaft war hoch verschuldet und musste zwangsverkauft werden. Puscha
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