Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Einschätzung meiner Lage, aber aus seinem Mund empfand ich es als Beleidigung.
    »Und deinen Eltern, denen geht’s bestimmt fantastisch, drüben.«
    Neben uns stand ein Zigeuner, lehnte sich auf seinen Besen, hörte interessiert zu. Constantin verstummte.
    »Das heißt nicht drüben, das heißt neue Heimat oder Westdeutschland. Und meinen Eltern geht’s beschissen, nur dass du es weißt. Mein Vater muss jetzt im Altersheim arbeiten, was er verabscheut. Die Lehrerausbildung haben sie ihm nicht anerkannt.«
    Eingehend betrachtete ich Constantin von der Seite. Er war einen Kopf größer als ich. Mein Blick erreichte gerade einmal seine Schultern. Wie breit sie waren, wie stark sie wirkten. Und erst die Haare. Für eine solche Mähne wurde man von jedem Schuldirektor oder Hochschuldirektor angemahnt, außer man hatte Beziehungen oder galt als Genie. Viele wollten damals Tänzer, Künstler oder Sportler werden, das ermöglichte ihnen Auslandsaufenthalte, auch außerhalb der sozialistischen Bruderstaaten. Um unter den Auserwählten zu sein, musste man hart arbeiten. Puscha hatte mir erzählt, dass Constantin täglich trainierte. Aber wenn er so unglaublich erfolgreich war, wieso würdigte er mich auch nur eines einzigen Blickes? Ich war ein Nichts, niemand liebte mich, ich liebte mich ja selbst nicht. Er sah wirklich verdammt gut aus.
    »Schreiben sie?« Ich erwachte wie aus einem Trancezustand.
    »Wer?«
    »Deine Eltern, wer sonst.«
    Es war zwecklos. Ohne Hast drückte ich ihm das verklebte Eispapier in die Hand, bedankte mich für die Begleitung,dann ergriff ich meinen Koffer und ging wieder nach Hause. Es war ja nicht weit.
     
     
    Constantin nahm Puschas goldene Hände nie mehr in Anspruch. Trotzdem ist etwas aus ihm geworden. Ich sah ihn im Dezember wieder. Misch hatte von der Redaktion Karten für die Oper in Bukarest geschenkt bekommen. Wir nahmen das Wagnis auf uns und besuchten einen ehemaligen Kollegen von ihm, der uns für eine Nacht sein Wohnzimmer zur Verfügung stellte. Übernachtungen waren meldepflichtig und durften nur bei Verwandten erfolgen. Daher sollten wir keinen Muckser und kein Licht machen. Am Abend schlichen wir durchs Treppenhaus, sehr darum bemüht, den Blockwart nicht auf uns aufmerksam zu machen. Wir benutzten auch kein Taxi, sondern gingen zu Fuß. Trotz der eisigen Kälte trugen Puscha und ich unsere besten Kleider und sehr dünne Seidenstrumpfhosen. Ein unnötiges Opfer an die Schönheit, wie wir später feststellen sollten, das große Haus war nur sparsam beheizt, und niemand zog den Mantel aus, und nur wenige setzten die Mütze ab, was die Sicht reichlich beeinträchtigte. Statt
Arsita
, einer Oper von Nicolae Brândus, wurde Tschaikowskys
Schwanensee
aufgeführt. Eine kurzfristige Programmänderung. Drei Stunden lang saßen wir steif wie tiefgefrorene Kaninchen vor Tänzern, die ebenso froren wie wir, obwohl sie sich bewegten, obwohl sie lange fleischfarbene Unterhemden und Unterhosen unter den Kostümen trugen. Constantin spielte nur eine Nebenrolle, dabei wurde inzwischen getuschelt, er würde für die Staatssicherheit arbeiten.
     
     
    Ein zaghaftes Lächeln ab und zu. Zugeworfen und aufgefangen im Vorbeigehen. Aber keine Brücke, über die ich hätte gehen können. Petre vermied Begegnungen mit mir. Das ist in einem Haus mit nur einem Bad, nur einem Klo, nur einer Küche schwer, aber er schaffte es. Als hätte er einen ausgetüftelten Plan erarbeitet, nutzte er geschickt die übereinanderliegenden Ebenen. Bewegte ich mich im ersten Stock, ging er in die Küche. War ich in der Küche, hatte er im Keller zu arbeiten. Die gemeinsamen Mahlzeiten wurden eingestellt, und wie und wo er sich duschte, blieb mir ein Rätsel.
    Meine Gefühle wurden durchsichtig und sehr zerbrechlich, Porzellansplitter, die ich als Scherbenhaufen zusammenkehrte und in eine weit entfernte Ecke meines Bewusstseins schob. Schon lange musste ich wieder mit nur einem Herzen auskommen.
     
     
    Kaum waren die Sommerferien zu Ende, kaum hatten wir uns wieder an das frühe Aufstehen gewöhnt, kaum hatten die Lehrer uns fluchend darauf hingewiesen, dass wir sämtlichen Stoff vergessen hatten, wurden wir als Erntehelfer rekrutiert. Ein Bus holte uns täglich vor der Schule ab. Körbe wurden verteilt, und wir bestiegen Apfel- und Birnbäume, die zu einer landwirtschaftlichen Kooperative in Rosenau gehörten. Ich pflückte voller Eifer und sang Lieder über den sozialistischen Aufbau. Mein vereinsamtes Herz fand Trost

Weitere Kostenlose Bücher