Zusammen Allein
hatte ich am Morgen bügeln wollen, doch das hatte ich leider nicht mehr geschafft. Karin versuchte, sich mit mir zu versöhnen, immer wieder stellte sie sich neben mich, doch ich blieb eiskalt. Der Gleichschritt fiel mir schwerer als sonst, das Jubeln auch. Nur kurz blickte ich hoch zur Ehrentribüne. Nichts hatte sich gegenüber dem Vorjahr verändert, aber ich war eine andere geworden. Die Soldaten, die Panzer, den ganzen schönen Rest bekam ich nicht mehr mit. Da feierte ich bereits mit Constantin auf einer grünen, einer sehrgrünen Wiese. Wir feierten mit Schnaps. Am Abend erzählte ich ihm, dass ich mitfahren würde. Egal wohin, egal mit wem.
Wieder ein Brief von Mamusch.
Mein Honigpusserl,
die Schokolade schmeckt auch hier bitter, selbst wenn
nicht Bitterschokolade draufsteht.
Unmöglich, diesen Satz zu verstehen, deshalb las ich ihn Misch laut vor.
»Auch drüben gibt’s einen Geheimdienst, sie hat Besuch erhalten«, kommentierte er trocken.
Aber im Gegensatz zur rumänischen Schokolade kann man sie in heiße Sahne legen, sie zerfließt dann sekundenschnell. Übrigens , ich habe meine Stelle.
Da wurde mir klar, dass nicht vom rumänischen, sondern vom deutschen Geheimdienst die Rede war. Und weil sie eine Anstellung erhalten hatte, stand zu befürchten, dass sie als Antikommunistin oder Nichtspionin eingestuft worden war. Schade, dachte ich, Eltern sollten bestraft werden dafür, dass sie sich aus dem Staub machten und ihr Kind zurückließen.
Ich hoffe, es ist Euch recht, dass ich immer vom Essen schreibe.
Die mitgeschickten Fotos sprachen für sich, erweckten den Eindruck, sie wären einzig und allein wegen der Lebensmittelvielfalt in den Westen ausgewandert. Mamusch, sonst schlank, bis auf ihren Hintern, der immer schon etwas Wuchtiges gehabt hatte, war überall kugelrund geworden, strahlte zufriedenglücklich in die Kamera. Den Arm hatte sie um meinen Vater gelegt, der in kurzen, sehr bunten Hosen wie ihr Zwillingsbruder aussah, auch er wohlgenährt. Sein Adlergesicht lag hinter Hamsterbacken verborgen. Von Sport kein Wort in dem Brief.
Im deutschen und holländischen Gemüse lässt sich nicht das kleinste bisschen Leben finden. Ein Kopfsalat zum Beispiel: Legt man ihn ins Wasser, werden weder Schnecken noch Kellerasseln herausgeschwemmt, nicht mal eine. Das Wasser ist durchsichtiger als zuvor, als wären die Salatköpfe nicht auf Erde gewachsen. Schau , Dein Vater hatte recht. Hier ist wirklich das Paradies. Geld braucht man zum Einkaufen, das stimmt, aber die Zeit und die Muskelkraft kann man getrost zu Hause lassen. Einkaufen ist kinderleicht.
Ob hier auch eine versteckte Botschaft versandt worden war, wollte ich von Misch wissen. Doch er zuckte die Schultern.
Als Constantin mich abholte, bereute ich bereits meinen Entschluss. Petres Untreue war vergessen. Er hatte sich am darauffolgenden Tag wieder im Keller eingeschlossen, alle Spuren seiner nächtlichen Besucherin warenausradiert worden. Nirgends fand sich auch nur ein einzelnes Haar, ein Lippenstiftrest von ihr. Als ich mich verabschiedete, kam er hoch und reichte mir feierlich die Hand. Für eine Umarmung standen wir uns zu nah oder zu fern, beides stimmte.
»Schlimm, das mit deinen Eltern«, sagte Constantin auf dem Weg zu seinen Freunden. Wir wollten uns in der Langgasse treffen, um von dort aus mit dem Wagen weiterzufahren. Weil mein Koffer eine Tonne wog, nahmen wir den Bus. Vorher aber entdeckten wir eine Menschenschlange und stellten uns an. Wie sich herausstellte, gab es Eis.
»Wie ist deine Mutter rüber?«, bohrte Constantin, während wir erstaunlich rasch aufrückten. »Wollen sie dich rüberholen?« Und weil ich nur die Schultern zuckte und so tat, als müsse ich Geld zählen, antworte er sich selbst: »Ich denke, sie werden zahlen. Es sei denn, sie bauen auf die Gnade Ceauşescus. Haben sie Bargeld, was glaubst du? Bestimmt. Vielleicht müssen aber auch Freunde von euch Geld lockermachen.«
Verlegen versuchte ich, das ergatterte Eis, das er mir gerade spendiert hatte, zu genießen. Versuchte auch, die neidischen Blicke der Mädchen um uns herum zu genießen. Beides war ein schwieriges Unterfangen. Aus meinem verlegenen Schweigen wurde ein besorgtes.
»Warum willst du das alles wissen?«
»Nur so.«
Meinem prüfenden Blick wich er aus, wiederholte hartnäckig seine Feststellung, dass ich ein armes, verlassenes Waisenkind sei. Das war eine hinreichend gelungene
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