Zusammen Allein
nicht mit mir.
Resigniert verkroch ich mich in meinem Bett, blies mir warmen Atem in die eiskalten Hände. Hätte ich doch auf Karin gehört und wäre zum Keff mitgegangen. Petre, der sich hartnäckig weigerte, Feste zu besuchen, bei denen er weniger als die Hälfte der Teilnehmer kannte, hätte dann alleine feiern müssen.
Trotz Petres Zurückhaltung lernte ich im Winter 1987 / 88 die Anatomie des männlichen Körpers kennen. Nicht durch ihn, wie ich es mir gewünscht hatte, sondern durch Misch. Mein Vater, von Haus aus verklemmt, hatte sich meinen neugierigen Blicken stets entzogen. Misch hingegen schien es zu genießen, dass ich seinen kleinen Rundbauch und das, was darunter hing, interessiert bestaunte. Seit ich ihm von meiner Vorliebe fürglatte, bartlose Männergesichter erzählt hatte, fehlte der Vollbart, nur einen kleinen Schnauzer hatte er stehen lassen. Jeden Abend, nach dem Essen, kletterte ich auf seinen Schoß und streichelte sein Kinn, prüfte die Stoppeln.
»Aber morgen rasierst du dich wieder.« Dieses Ritual behielten wir bei, auch nachdem Petre und ich ein Paar geworden waren. Inzwischen war es offiziell. Puscha konnte man nichts verheimlichen, sie war wie ein Spürhund, nichts entging ihrer Witterung.
»Kruzitürken«, hatte sie geschimpft, »du glaubst, ich bin blöd, dabei bin ich nur alt. Was soll das geben mit euch beiden?« Eine Hand in die Hüfte gestemmt, stand sie vor mir und hielt mit der anderen einen Brief hoch. Er war von Petre, das sah ich sofort. Er war für mich. Meine Großmutter verlangte Auskunft, sie verlangte auch ein Versprechen.
»Sei kein Tschapperl, geh ja nicht mit ihm ins Bett. Schneller als du auf zwei zählen kannst, bist du schwanger. Dann ist dein Leben verpfuscht.«
Das Versprechen gab ich ihr bereitwillig, nur damit ich endlich den Brief ausgehändigt bekam.
Petre war vom Polytechnikum aus zum Winterdienst eingeteilt worden. Zusammen mit Soldaten räumten sie Schnee von den Straßen und besserten Fahrwege aus. Aus einer Art Arbeitslager erreichten mich seine Briefe wie Hilferufe. Obwohl er nie deutlich wurde, konnte man zwischen den Zeilen von unglaublicher Erniedrigung und Erschöpfung lesen.
Unser Leid war nicht weniger groß, wir froren den ganzen Tag. Zu Hause, in der Schule, im Kino. Es gab in ganz Kronstadt keinen Ort mehr, an dem man esohne zweifache Winterbekleidung aushalten konnte. Aber einmal die Woche fütterten wir den Ofen mit Hartholz. Wir zogen uns aus. Puscha, Misch und ich. Rosafarben wie Schweinchen, hüpften wir auf dem kalten Linoleum. Stühle mit künstlich verlängerten Rückenlehnen wurden um den Ofen aufgestellt.
Darauf nahmen die beiden Platz, während ich alle verfügbaren Decken über ihren Köpfen ausbreitete und sorgsam die Lücken verschloss. Zu guter Letzt wühlte ich mich wie ein Maulwurf hindurch, um auf den dritten Stuhl zu krabbeln. Siebenbürgische Sauna. Wir schwitzten, was das Zeug hielt, erzählten Geschichten, lachten. Von Zeit zu Zeit kam jemand zu nahe an den Ofen, es zischte, Haut verbrutzelte, und es roch wie am Schlachttag nach Schweineborsten.
Meine Sehnsucht wuchs. Wann kommst du endlich?, schrieb ich an Petre, oder: Komm endlich!, als läge es in seiner Hand, Entscheidungen zu treffen. Er war wochenlang weg, und nur diejenigen, die sich durch Devisen hatten freikaufen können, saßen in den Hörsälen und lauschten den Professoren. Ich ahnte, je mehr Unterricht er verpasste, desto weniger Zeit würde er für mich haben.
Der Plan war schnell gefasst, die Umsetzung jedoch schwieriger als gedacht. Nach Schulschluss fuhr ich zum Mühlenberg, betrat zum ersten Mal den Campus des Polytechnischen Instituts. Petres Welt. Eingeschüchtert fragte ich mich bis zum Fachbereich Ingenieurwesen durch und schrieb von einem Kommilitonen seitenweise Einträge ab. Bücher gab es so gut wie keine, Vervielfältigungsmöglichkeitenauch nicht, alles wurde von Hand kopiert. Dreimal half mir der gleiche Kommilitone weiter, dann zeigte er mir beschämt ein ärztliches Attest.
»Es gilt nur noch diese Woche, dann bin ich auch weg.«
Das war mir recht, meine Hand tat mir schon weh.
Zum Abheften der Unterlagen musste ich in Petres Reich eindringen. Ein Vorhängeschloss sicherte den Kellerraum, und statt Misch nach dem Schlüssel zu fragen, entschloss ich mich, mehrere Schrauben zu lösen. Natürlich hätte ich die Unterlagen auch in Petres Zimmer legen können, doch ich wollte ihn überraschen. Alle Abschriften
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