Zusammen Allein
auch nicht am darauffolgenden. Ich las alle Großvaterbriefe einmal, las sie zweimal, dann schlug ich zu:
»Du hast mir nicht gesagt, dass er euch fast besucht hätte, aber er traute sich dann doch nicht über die Grenze. Aber er hat euch mehrmals zu sich eingeladen, mehrmals!« Puscha verstand nicht, natürlich nicht. »Du, nein ihr, ihr solltet nachkommen, steht in den Briefen.« Ich erhob meine Stimme. Ohne in den Spiegel zu schauen, wusste ich, dass ich bis über beide Ohren rot geworden war.
»Joi, schaut sie euch an. Sie klaut Briefe, und dann regtsie sich auf, als ginge es um ihr Leben. Sag, wie bist du überhaupt drangekommen?« Nach einer kurzen Pause fuhr sie mich an: »Nein, sag nichts, ich pfeife auf deine Entschuldigungen. Hast du auch das Datum gelesen, he? Damals war ich bereits mit Gicu verheiratet. Es war zu spät.«
»Für die Liebe ist es nie zu spät. Du hattest ein Kind von ihm, meine Mutter.«
»Und von dem neuen Mann hatte ich eine Nähmaschine geschenkt bekommen, eine Pfaff. Alle haben mich bewundert. Und glaub mir: Die Liebe ist keine Garantie fürs Glücklichsein.«
»Du hast es nur nicht richtig versucht. Ich werde es versuchen. Ich schreibe ihm.«
»Wohin willst du den Brief schicken, glaubst du, er lebt seit vierzig Jahren in derselben Straße?«
Sie ließ mich stehen, angelte sich die Handtasche vom Kasten, zog einen Mantel an und zeigte mir die kalte Schulter.
»Du wärst Schneewittchen und ich dein Prinz.« Die Kindersprache ist auch die Sprache der Liebe. Den Schneewittchensatz legte ich ihm in den Mund, denn einmal hatte er, wie aus Versehen, meine dunklen Haare und meinen blassen Teint bewundert. Um das zu unterstreichen, benutzte ich, sooft ich konnte, Puschas roten Lippenstift.
»Ja, du bist mein Prinz.« Um sein Lachen festzuhalten, bat ich ihn, mir Puschas Kamera zu holen. Sie lag zuoberst auf dem kleinen Tischchen, das ich als Schreibtisch und Ablagefläche für alles Mögliche benutzte.Meine Großmutter prophezeite mir, dass ich bei meiner Unordnung nie einen Mann bekommen würde.
»Es ist mein letzter Film, hoffentlich schickt Mamusch mir neue«, jammerte ich. »Ich laufe seit Wochen herum und finde keine. Sie wollen Devisen, weißt du.«
Ich bat ihn, näher zu treten, ich bat ihn hinzuknien. Dann setzte ich mich auf und holte sein Gesicht mit dem Zoom heran. Seine kantigen Wangen und der breite Hals bildeten eine Gerade, nur von einer zarten Kinnlinie unterbrochen. Er sah unglaublich stolz aus.
»Tu noch einmal so, als würdest du dir eine Strähne aus der Stirn streichen.« Er weigerte sich kopfschüttelnd. Als er lachte, drückte ich auf den Auslöser.
Da wurde er ernst.
»Gehst du noch zur UTM?«, fragte Petre unvermittelt, und sein Gesicht wirkte wieder ernst und besorgt. Ich aber wollte spielen, lachen und verliebt tun.
»Warum willst du das wissen?« Als er schwieg, sagte ich im Spaß: »Für meine Noten wäre es besser.«
»Das denken alle, deshalb ändert sich nichts.«
»War nur ein Witz!«
Doch er konnte nicht lachen, nicht einmal lächeln. Dieser Ernst, der ihm wie ein Geruch anhaftete, stimmte mich traurig. Er versuchte nicht einmal, ihn loszuwerden, das nahm ich ihm sehr übel.
Um eine politische Diskussion zu vermeiden, hielt ich die Kamera vors Auge und drückte ab. Sofort streckte er mir die Zunge heraus. Seine Ablehnung reizte mich. Erneut schoss ich ein Bild und erwischte ihn mit herausgestreckter Zunge. Da war nicht nur Zuneigung zwischen uns, doch das übersah ich, weil ich es übersehen wollte. Ohne Anstrengung träumte ich mich in eine gemeinsameZukunft hinein. Und wieder zurück in die Gegenwart.
»So eine Zunge ist als Hilfsmittel für die Nahrungsmittelaufnahme und das Sprechen konzipiert«, lockte ich, »aber kann man damit nicht auch ganz andere Dinge tun?« Immer noch hatte er mich nicht richtig geküsst. Deshalb zog ich ihn zu mir hoch. »Magst du mich?« Mein Mund war plötzlich sehr trocken.
»Nicht.« Rasch befreite er sich aus meiner Umarmung. Den Zipfel seines Hemdes hielt ich noch in den Händen. Er machte sich ganz frei, stand auf und schob das Hemd wieder in die Hose. »Drăguţa, woher soll ich das wissen?«, beschwichtigte er mich, kam näher und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. So küsste er auch seine kleine Cousine. Enttäuscht drehte ich mich zur Wand. »Drăguţa«, wiederholte er, konnte mich jedoch durch dieses winzige Kosewort nicht beruhigen.
»Zgârcitul e totdeauna sărac«, konterte ich mit
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