Zusammen Allein
war betrunken. Rosi sei im Krankenhaus, krakeelte er, Besuch könne sie keinen empfangen. Kurz schloss er die Augen, dann nahm er seine Frau in den Arm und sagte, ich solle verschwinden.
Rosi sah ich nicht mehr wieder. Sie war, wie ich später erfuhr, im vierten Monat schwanger gewesen und hatte gehofft, durch den Verrat die Genehmigung für eine Abtreibung zu erhalten. Die Behörden wollten ihr lediglich bei der Beschaffung einer Wohnung helfen. Da griff sie selbst zur Stricknadel. Zu ihrer Beerdigung ging ich nicht.
In den folgenden Tagen versuchte ich, mit Puscha zu sprechen, ich versuchte, mit Misch zu sprechen. Es tut mir leid, stammelte ich ein ums andere Mal, ich konnte doch nicht wissen … woher hätte ich wissen sollen?Sie ließen mich ausreden, drehten sich jedoch weg und blieben stumm. Sie erledigten ihre Arbeit, während ich weiterstammelte. Ich wusste inzwischen, dass es Misch zu verdanken war, dass die Sekuritate nichts gefunden hatte. Die Uni-Unterlagen auf Petres Bett hatten ihn aufgeschreckt, er war in den Keller gegangen und hatte sofort erkannt, dass jemand eingebrochen war. Er folgte meinen Spuren und wurde fündig. Petre schrieb ich einen glühenden Liebesbrief. Er meldete sich mit keinem Wort. Da wusste ich, ich hatte ihn verloren.
Sie kamen nach Schulschluss. Als ich mit Sebastian im Flur stand und wir uns über das Theaterprojekt unterhielten, an dem wir mitwirkten. Sie waren zu zweit. Ich erkannte sie an ihrer Kleidung, grau-braun-grau, an den guten Lederschuhen und an der Art, wie sie sich bewegten, mit einer Zielstrebigkeit, die ungewöhnlich war.
»Komm mit, wir haben ein paar Fragen!« Sofort war sie da, die Angst. Sie mussten mich anstoßen, damit ich aus der Erstarrung erwachte und ihnen in einen kleinen Abstellraum folgte. Mein Blick hing an Sebastian, der sprachlos geworden war. Langsam hob er seinen Arm, wie zum Protest, ließ ihn dann wieder sinken.
Der Raum war eng, ein einziges Fenster hing verloren unter dem Plafond, trübe Sonnenstrahlen sickerten durch ein Metallgitter. Wie in fast allen öffentlichen Räumen war die 6 0-Watt -Birne durch eine schwächere ersetzt worden. Es dauerte eine Weile, bis sich die schemenhaften Schatten in den Regalen in Schulartikelverwandelten, ich starrte auf Kartons mit Buntpapier und Scheren, Zeigestöcke und Landkarten. Ein kleiner Tisch mit Stuhl stand an der Fensterseite. Es roch nach Mäusedreck. Da sie mir keinen Platz anboten, blieb ich stehen. Und presste meine Schulterblätter gegen die Tür, die jetzt keine normale Tür mehr war, sondern die Kälte einer Gefängnistür ausströmte. Zitternd schlug ich den schweren Kragen des Wintermantels nach oben. Das war ein inoffizielles Verhör, daran bestand kein Zweifel.
»Und?«, fragte der Erste. Schwerfällig setzte er sich auf die Tischkante, die er vorher mit einem Taschentuch abgewischt hatte. Was ihm am Kopf an Haaren fehlte, trug er im Gesicht. Sein wilder Bart glich einer Fassadenbegrünung. Irgendetwas galt es zu schützen oder zu verschönern. Die Männer stellten sich nicht vor, sie begannen gleich mit den Fragen. »Was hast du uns zu sagen?«
Ich sah von einem zum anderen. Der mit dem Bart lächelte. Weil ich immer noch schwieg, kam der Zweite auf mich zu. An sein Gesicht erinnere ich mich nicht mehr, aber er war groß, ungewöhnlich groß für einen Rumänen. Mit einer ungeduldigen Bewegung schob er seine Brille nach oben, musterte mich, wie man ein seltenes Insekt mustert. Ich war ihm lästig, besagte sein Blick.
»Du heißt Agnes Tausch?« Er sprach den Namen mit
s
und einem angehängten Zischlaut aus.
»Ja«, stotterte ich.
»Du lebst bei deiner Großmutter, seit deine Eltern beschlossen, ins kapitalistische Feindesland zu fliehen. Du kennst Petre Dobresan.«
Mein Schlucken war hörbar, und plötzlich hatte sich so viel Speichel im Mund gesammelt, dass ich nur noch nicken konnte.
»Wie ist er so, der junge Dobresan?« Immer noch stand der Große direkt vor mir. Wollte ich nicht unhöflich sein, musste ich den Hals weit strecken, um sein Gesicht zu erreichen. In seinen Augen wiederholte sich die Frage, doch ich verstand sie nicht. Deshalb sprach er: »Machen wir es einfach. Er ist ein Stinktier, und jetzt wollen wir herausfinden, ob du auch stinkst.«
Nun musste ich doch etwas sagen, doch er ließ mich nicht zu Wort kommen. »Deine Eltern leben jetzt in Westdeutschland, ohne dich.« Das »dich« betonte der Bartlose, legte eine vielsagende Pause ein.
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