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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie um die Ecke bogen, wurden die Scheinwerfer eingeschaltet. Der Schnee, unschuldig weiß, sammelte die Lichtpartikel und warf sie mir zu. Ich schüttelte mich und blickte Hilfe suchend um mich.
    Obwohl das Gezeter meiner Großmutter bis zu mir drang, wurde in keinem der Nachbarhäuser ein Fenster oder eine Tür geöffnet. Niemand wollte etwas sehen, niemand wollte gesehen werden. Der Stein in meinem Hals löste sich, und als hätte man den Zugang freigelegt, kamen die Tränen.
    »Petre!« Jetzt war es nur noch ein Schluchzen. Ich hatte vergessen, ihm zu sagen, wie sehr ich ihn liebte. Das war das eine. Das andere: Warum war Mira an seiner Seite?
     
    Im Nachbarhaus lief immer noch Ceauşescus Rede.
     
    … wegen mangelnder Erfüllung der Anforderungen ist der Energieminister, Genosse Ioan, bereits vor zwei Monaten aus dem ZK ausgeschieden, weitere Minister werden ihm nun folgen müssen, da   …
     
    Also war doch ein Fenster geöffnet worden, also interessierte sich doch jemand für unser Schicksal.
    Sie durchsuchten wieder den Keller, sie durchsuchten aber auch die Küche, das Badezimmer, die Schlafzimmer. Kein Brett blieb liegen, kein Kissen unversehrt, keine Schublade und kein Karton unbeachtet. Nach und nach belagerten immer mehr Geheimdienstler das Haus, insgesamt zwölf Leute. Sie machten ihre Arbeit, sie beschützten ihr Land, sie fühlten sich im Recht. Wir, die wir von einer Ecke in die andere geschubst wurden, waren Verräter, Abschaum.
    Der Kapitän wurde als Erster verhört. Er durfte sich nicht hinsetzen, er durfte sich nicht einmal an eine Wand lehnen. Zitternd verharrte er neben der Kredenz.
    Nein, er habe nichts zu sagen, stotterte er, von Protestbriefen wisse er nichts. Nein, dieses Dokument sei ihm unbekannt.
    Der älteste der Männer hatte sich als Oberstleutnant Georghe Siminica vorgestellt und allen freundlich die Hand gereicht. Jetzt aber wechselte er das Kostüm, einSchauspieler, der in eine neue Rolle einsteigt. Mit gefletschten Zähnen hielt er dem Kapitän ein Schriftstück unter die Nase, sein Schnurrbart vibrierte.
    »Das haben Ihr Sohn und seine Hurenfreundin verteilt.«
    »Es tut mir leid, dazu kann ich nichts sagen, ich kenne es nicht.«
    »Wir wissen aber, dass Sie ihm geholfen haben. Sie haben ihn gedeckt. Das alles hat er bereits zugegeben.«
    »Mein Sohn ist weggebracht worden, woher wollen Sie wissen, was er gesagt hat?«
    Den Einwand ließ Siminica nicht gelten. Alle würden sie reden, davon könne man ausgehen, außerdem lägen die Beweise auf der Hand. Eine Mitarbeit, noch besser ein Geständnis, würde Vieles erleichtern.
    »Wo ist mein Sohn?«, fragte der Kapitän zurück. »Wo haben Sie ihn hinbringen lassen?«
    »Halten Sie den Mund, ich stelle hier die Fragen.« Der Genosse befahl uns, die Küche zu verlassen.
    Das Verhör wurde hinter verschlossener Tür fortgesetzt. Beim Hinausgehen sah ich, wie der Kapitän schwankte. Deutlich traten die Adern an seinen Schläfen hervor.
    Das Gespräch dauerte eine Stunde, vielleicht auch länger. Danach kam Puscha an die Reihe, dann ich, dann die blinde Popescu. Erst um drei Uhr durften wir ins Bett.
    Genosse Siminica stellte allen die gleichen Fragen, stellte sie wieder und wieder, ein Mantra, einstudiert während der Sekuritate Ausbildung.
    »Seit wann verteilen Herr Dobresan und seine Freundin antisozialistische Propaganda?«
    »Wer hat ihm beim Drucken geholfen?«
    »Wo fanden die Arbeiten statt?«
    »Woher hatte er das Papier?«
    »Wer hat die Tinte besorgt?«
    Und wenn man immer wieder betonte, nichts von all dem gewusst zu haben, schrie der Genosse: »Wir wissen sowieso alles.«
     
    Zum Abschied warf er uns ein kollektives: »Wir sehen uns noch   …« zu. Sein dichtes Kopfhaar war ein wenig durcheinandergeraten, doch sein Gesicht wirkte ziemlich frisch, als gehörten nächtliche Einsätze zu seinem Alltag. »…   wegen der Lebensmittel und natürlich wegen   … Sie wissen schon.«
    Er drohte uns, damit wir unsere Fragen hinunterschluckten, er stieß auch den letzten Stuhl um, damit wir auf Tage hinaus mit Aufräumen beschäftigt waren.
    Ja, die Männer machten ihre Arbeit gründlich. Sie beschützten ihr Land, sie fühlten sich im Recht.
    Das Haus glich einem Trümmerfeld. Puscha, der Kapitän und ich waren die Verwundeten, die in ihrem Schmerz, ihrer Ohnmacht auf dem Feld zurückgelassen wurden. An Petre wagten wir kaum zu denken. Aber: Wieder hatten sie nichts gefunden, nichts außer gehorteten Lebensmitteln, und

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