Zusammen Allein
Tränen erspüren konnte, war das nicht eine Marktlücke?
»Wein oder Wasser oder eine Limonade?«, überbrückteMisch das Schweigen. Nie kam jemand zu Puscha, ohne bewirtet zu werden.
Wir saßen noch nicht lange, da wurde die Außentüre mit Wucht aufgestoßen, gleich darauf ein weiteres Mal. Lautes Poltern war im Flur zu hören, danach Ruhe. Diese Ruhe war beängstigend. Leo hatte nicht angeschlagen, also konnte es sich nur um Petre handeln. Warum aber kam er nicht in die Küche, um Servus zu sagen? Mischs Augen wechselten die Farbe.
»Joi«, hilflos hob er die Hand, ließ sie wieder herabsinken. Seine Mundwinkel zuckten. Als Erste erholte sich Puscha, sie stand auf, ging nachschauen. Ich folgte ihr und erkannte im Dämmerlicht der Flurbeleuchtung Petre. Er saß auf einem Hocker und neben ihm, auf dem Boden kauernd, Mira. Sie waren gerannt. Heftig atmeten sie ein und aus. Und wir ahnten: Unter den dicken Wintermänteln saß die Angst.
»Was ist geschehen?, konnte Puscha noch fragen.
»Ein Kommilitone hat uns gesehen«, konnte Petre noch antworten. Dann läuteten sie Sturm. Jeder von uns wusste, dass sich soeben unser Leben veränderte. Unser aller Leben. Wie ein herannahendes Gewitter war die Katastrophe spürbar. In Fellschuhen schlurfte Puscha zum Gartentor, man hörte, wie sie Leo oder sich selbst wortreich beruhigte. Taschenlampen leuchteten auf, ein kurzes Gespräch, dann kam Puscha mit vier Männern zurück.
Sie trugen dunkle Hosen, dazu eng sitzende Blazer, grau, und ihr Erkennungsmerkmal, neue Lederschuhe. Angesichts der Außentemperaturen eine erstaunlich unpassende Arbeitskleidung, fand ich, wunderte mich gleichzeitig über die Gedanken, die mich beschäftigten.Zunächst schauten sie sich suchend im Hof um. Als sie nichts Verdächtiges entdecken konnten, drangen sie ins Haus ein. Es war wirklich das Eindringen von Jagdhunden, die Witterung aufgenommen hatten. Bis auf den Ältesten, der einen gelangweilten Blick zu verbergen suchte, befanden sich die drei anderen im Jagdfieber. Die Augenbrauen zeigten steil nach oben, die Köpfe bewegten sich ruckartig hin und her, und ihre Nasen schnüffelten. Mit wenigen Blicken versuchten sie Ordnung in die kleine Menschenansammlung zu bringen, dann rissen zwei von ihnen Petre und Mira hoch. Sie schleiften sie vor die Haustür. Kein Wort war gefallen. Ich stand eingeklemmt zwischen dem Kapitän und der Nachbarin und konnte nur etwas sehen, wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte. Petres Augen streiften mich. Es war ein Abschiedsgruß. Ob ich etwas gesagt oder gar geschrien habe, weiß ich nicht mehr.
Woran ich mich deutlich erinnere: An den Kapitänsrücken, diesen breiten Männerrücken, nicht mehr jung, noch nicht richtig alt, der plötzlich nach vorne sackte, als hätte ihn ein schwerer Schlag getroffen. Mühsam stützte er sich auf seinen Stock, die freie Hand suchte am Türrahmen Halt.
Nie habe ich den Geschmack von Angst deutlicher auf den Lippen geschmeckt. Diese Angst glich einer stachligen Frucht, die man auszuspucken versucht, aber es geht nicht, sie sitzt fest. Meine Großmutter begann, auf die beiden verbliebenen Männer einzureden. Die blinde Popescu versuchte sich zu verdrücken. In ihrer rechten Hand schwankte ein Honigglas. Jeder tat irgendetwas Sinnloses. Eine laute Stimme forderte uns auf, in die Küche zu gehen, Platz zu nehmen. Wir gehorchten.
»Ihre Personalien werden geprüft.«
Jemand riss am Arm der Nachbarin. Das Honigglas fiel auf den Linoleumboden; gute, teure Bienenfracht, mit Zucker gestreckt, ging zu Bruch, und ich erwachte aus der Erstarrung.
Die Gelegenheit nutzend, hastete ich ins Freie. Weil ich keine Schuhe trug, bohrten sich spitze Steine in meine Fersen, auch ein abgebrochener Eiszapfen war dabei, scharf wie eine Glasscherbe. Doch das stellte ich erst sehr viel später fest. Weit war ich nicht gekommen, da riefen sie mich zurück. Doch ich eilte weiter, stand vor dem Hoftor und riss es auf. Dunkle Schatten umspielten die Häuserfronten, nur jede dritte Laterne brannte. Da sah ich den Wagen. Ein kleiner Dacia, grün oder gelb. Die Dunkelheit machte sich zum Komplizen der Geheimen. Einer der Männer stieß zuerst Mira, dann meinen Geliebten ins Innere. »Petre!«, schrie ich.
Im Einsteigen drehte er den Kopf. Doch den Ausdruck auf seinem Gesicht konnte ich nicht erkennen. Bestimmt war auch er gelähmt vor Angst. Vielleicht aber war er auch froh darüber, dass jetzt alles vorbei war. Sie fuhren ohne Licht davon. Erst als
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