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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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paar kalt gewordene Piftelle. Puscha hatte Fleisch aufgetrieben. Auf dem Zettel die Nachricht, dass Misch die Nachmittagsschicht vor der Villa Popovici nicht übernehmen könne, ich solle kommen. Obwohl ich zum Umfallen müde war, machte ich mich sofort auf den Weg. Unterwegs aß ich mein Essen. Der Hunger war mir nicht vergangen, im Gegenteil. Rücksichtslos aß ich alle sechs Piftelle. Als ich in der Angergasse ankam, war Puscha nirgends zu sehen. Ein gutes Zeichen. Vielleicht hatte sie einen Termin beim Oberstleutnant bekommen. So gut das mit Handschuhen ging, drückte ich beide Daumenund wünschte mir, aus diesem Albtraum zu erwachen. Das war ein frommer Wunsch.
    Um nicht verrückt zu werden, holte ich das Biologieheft hervor. Doch mir war so kalt, meine Hände zitterten so stark, dass es mir entglitt und in den festgetretenen Schnee fiel. Keine Schmutzränder, Gott sei Dank, aber nasse Stellen, die die Tinte an einigen Stellen in blaue Gletscherseen verwandelten. Herr Honigberger war so freundlich, jeden Test anzukündigen, und der Aufbau des Zellinneren hatte mich jetzt, genau jetzt zu interessieren. Ich wartete drei Stunden, ich las drei Stunden, ohne auch nur eine einzige Zeile zu verstehen. Immer wieder stellte ich mich zum Aufwärmen in die Sonne, doch von meinem Sonnenplatz aus konnte ich den Eingang nicht überblicken, daher pendelte ich zurück.
    Dann endlich kam Puscha heraus. Sie lächelte mir zu. Doch daran, wie sie ging, daran, wie sie die Schultern nach vorne sinken ließ, wusste ich, sie hatte nichts erreicht.
    Ja, Petre sei noch in Kronstadt, hätte man ihr mitgeteilt, doch wo, das wolle man nicht verraten, aus Sicherheitsgründen. Und Besuch sei nicht erlaubt. Für diese beiden Sätze hatte sie den ganzen Vormittag und den halben Nachmittag auf einer harten Bank im Flur der Villa Popovici ausgeharrt.
    »Und   … warum   … wird er   … festgehalten?« Mir war so eisig kalt, dass ich kaum sprechen konnte. Vielleicht war es auch die Angst vor der Antwort, die meine Zunge lähmte.
    »Landesverrat.«
    »Ist das schlimm?«
    »Joi, wie auch immer sie es nennen, ich bin mir sicher, sie wollen ihm ein Gratisbillett nach Piteşti schenken.«
     
    Hatte ich laut geredet? Als Karin mich endlich auf meinen Platz zog, erklärte Herr Honigberger:
    »Bio, die Lehre vom Leben. Egal in welcher Reihe man ansteht, Biologie kann man immer lernen.«
     
    Mein Bild in der Vitrine, Auszeichnung für gute Führung, Beweis, dass ich in Französisch, Marxismus-Leninismus und Mathe jeweils die Note 10 erreicht hatte, verschwand ein paar Tage später. Ein leerer Fleck blieb nicht zurück, es gibt immer Nachrücker und Gewinner.
     
     
    Die Erinnerung an diese Zeit kehrte nie vollständig wieder. Einzelne Puzzleteile aber sind geblieben. Ich erinnere mich daran, dass Karin begann, mir jeden Tag einen Apfel in die Schule mitzubringen. Als wären sie Löschblätter, dazu geeignet, Ängste aufzusaugen. Ich erinnere mich an den Verfall von Misch. Drei Finger seiner rechten Hand konnte er nicht mehr bewegen, und er musste sich nicht mehr zweimal täglich rasieren. Immer öfter schlief er in Petres Zimmer. Puscha schimpfte. Sie erwarte nachts einen Mann in ihrem Bett vorzufinden, maulte sie. Kochen und Hemden bügeln müssten abgestreichelt werden, so sei das immer schon gewesen.
    »Ich kann bei dir schlafen«, schlug ich vor und zog mit Sack und Pack in Puschas Doppelbett. Wenn der Kapitän zu Besuch kam, musste ich allerdings auswandern. In meine kalte Kammer, ins eisige Bett, in der einWintermantel, drei Paar Wollsocken und eine Mütze immer noch nicht ausreichten, um durchzuschlafen.
     
     
    Seit drei Wochen kein Lebenszeichen von Petre. Wir ahnten, die Wartezeit hatte erst begonnen.
    Wie ein Gespenst saß er neben uns am Tisch. Wir schleppten ihn mit in die Arbeit und in die Schule, wir schliefen mit ihm. Der Kapitän und ich. Puscha ging die Dinge nüchterner an.
    »Joi, so ist es, wenn man zu viel riskiert. Er ist nicht in der Spur geblieben. Kein Wunder also, wenn alles entgleist. Und wir sitzen mit im Waggon.«
    »Wie kannst du so reden?«, wehrte sich der Kapitän, »er ist jung, er hat   …«
    »Ja, ich weiß, er hat es für uns alle getan«, vollendete Puscha den Satz. Nachdenklich ging sie zum Wasserhahn, wollte ihr Glas füllen, doch die Leitung gab lediglich ein beleidigtes Gurgeln von sich.
    »Wenn es wenigstens Sommer wäre. Wenn sie wenigstens mich geholt hätten«, jammerte der Kapitän. »Ich bin

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