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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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du, und mich ohne Trost zurücklässt.«
    »Ja«, seufzte Karin und brachte mich zur Tür. »Aber die Äpfel sind jetzt sowieso alle weg. Übrigens, weißt du schon?«
    Nein, ich hatte es nicht gewusst.
    Den Brief nahm sie mir ab, wenigstens das, und über das Gehörte dachte ich den ganzen Heimweg über nach.
     
     
    Auch Herr Honigberger, mein Lieblingslehrer, hatte einen Ausreiseantrag gestellt. Er durfte nur noch bis Ende des Schuljahres unterrichten. Dann wurde ihm eine neue Stelle zugewiesen. Als Lastwagenfahrer oder als Hausmeister. Ich stellte ihn zur Rede.
    »Sie sind der einzige Lehrer an der Schule, der seinen Beruf liebt. Sie können nicht gehen, bevor ich fertig bin.«
    Honigberger lachte, dabei hob er die Arme, als würde ich ihn mit einer Waffe bedrohen. Vertrauter Duft stieg von ihm auf, er wechselte seine Hemden nicht oft. Dann spielte er wieder dieses Spiel mit mir.
    »Weißt du«, sagte er, »Honigbergensis grandiosus gibt es mehr, als man denkt. Ihre Zahl wird unterschätzt, weil sie viele Unterarten bilden, sich oft bis zur Unkenntlichkeit tarnen.«
    »Das will ich jetzt nicht hören. Ich will, dass Sie bleiben. Sie haben Verantwortung.« Zu spät merkte ich, wie Mamuschs Worte aus mir herauspurzelten. Tata hatte sie damit nicht aufhalten können. Vielleicht aber schaffte ich es, Herrn Honigberger umzustimmen.
    »Meine Eltern sind Lehrer, wie Sie wissen. Beide sind ohne Anstellung. Die neuen Nachbarn zeigen mit dem Finger auf sie. Im Westen wartet längst niemand mehr auf uns«, beteuerte ich. Doch sein Blick streifte mich mit dieser Art Nachsicht, die keinen Deut besser ist als Mitleid.
    »Wann hast du zuletzt mit deinen Eltern gesprochen?«
    Eine Antwort wollte er nicht hören. Da wusste ich, Kronstadt war ein Dorf. Meine Lügen hielten seinen Informationen nicht stand. Der Westen, selbst für Arbeitslose, versicherte er mir, sei immer noch tausendmal besser zu ertragen als das Gefängnis, das sich eine sozialistische Republik schimpfte. Wie zum Zeichen, dass unser Gespräch beendet war, fiel ein großes Mörtelstück von der Wand. Das Schulhaus, nein, das ganze Land, wartete auf eine Komplettrenovierung.
     
     
    Den Abschied feierten Karin und ich am 21.   Dezember. Es war reine Schikane, den Ausreisetermin so zu legen, dass sie in der Weihnachtszeit, in der niemand gerne arbeitete, auch im Westen nicht, in Nürnberg ankommen würden.
    Ohne den Mantel auszuziehen, ließ Karin sich auf einem Küchenstuhl nieder, ich lehnte schräg gegenüber an der Anrichte. Mein Zimmer hatte ich aufgeräumt, doch man hielt es keine fünf Minuten darin aus, alsowaren wir wieder hinuntergegangen. Auf der Kredenz kühlte der Kuchen, Donauwellen, von mir selbst gebacken. Kakao hatte ich keinen ergattern können. Die Wellen glichen also einem einfarbigen Donaustrand. »Für dich.« Dabei war mir klar, sie würde Berge von Kuchen bekommen, bald, mit Schokolade drin und drauf.
    Mit Leidensmiene zeigte sie auf ihren Bauch. »Seit ich weiß, dass ich fahre, stört mich das da.«
    »Sonst plagen dich keine Sorgen«, lachte ich sie aus.
    »Doch, Regelschmerzen. Ich wünsche mir, dass Frauen keine Regelschmerzen mehr haben, und was wünschst du dir?«
    »Dass Petre freikommt und einen großen Teller Spaghetti.« Mit einer weitausholenden Handbewegung deutete ich die gewünschte Menge an. Sie erzählte, dass sie sich erkundigt hätte, in der neuen Heimat gäbe es zahlreiche ausländische Gastwirtschaften, vor allem italienische. So oft sie es sich leisten könne, würde sie hingehen.
    »So wirst du nicht abnehmen«, drohte ich ihr. Statt einer Antwort fragte sie mit Mutterstimme:
    »Wirst du schreiben? Wirst du nachkommen?«
    »Ja zu Punkt eins, nein zu Punkt zwei. Du weißt, ich muss Petre helfen. Wenn wir ihn nicht freibekommen, bringe ich mich um.« Sofort hatte sich eine Schicht aus Eis um uns gelegt.
    »Joi, wie blöd du redest!« Karin war aufgesprungen und nahm mich in die Arme, als müsse sie mich wärmen. Das dürfe man nicht sagen, erst recht nicht denken, jammerte sie, ob ich ihr die Freude verderben wolle?
    »Nein. Ich meine, nicht so richtig«, entschärfte ich das Gesagte, »vielleicht ein Hungerstreik.«
    »Meine Güte, hast du mich erschreckt.« Eng hielten wir uns umschlungen. Zum letzten Mal. Zuneigung und Trauer hüllten uns ein.
    »Servus«, sagte Karin zum Abschied, und ich sagte nichts.
     
     
    Einen Anwalt fand Misch in der Hauptstadt, Herrn Ionel Cherea. Ein kleiner Mann mit Glatze und perfekt

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