Zusammen Allein
Lei. Zusätzlich zu den Hotelkosten und zusätzlich zu seinem Honorar, das etwa das Sechsfache betrug. Wir protestierten nicht, denn Vergleichswerte hatten wir nicht. In unserem Bekanntenkreis war Petre ein einsamer Held. Eine Revision, so erklärte uns Herr Cherea zum Abschluss, sei machbar, aber wenig erfolgversprechend. Allerdings das einzig mögliche Vorgehen. Dass er uns nicht anlog, stärkte unser Vertrauen in ihn. Betäubt durch das Unfassbare und die flutenden Tränen hörten wir ihm zu. Niemand zwinge uns aufzugeben, er werde sich wieder bei uns melden. »Bedaure«, der Kapitän hüstelte und gab zu, dass er die Anwaltskosten leider nicht voll bezahlen könne. Höflichkeit hin oder her, nachdem er erfahren hatte, dass er seinen Sohn so gut wie verloren hatte, war er auf einen Stuhl gesunken. »Wenn Sie vielleicht ein wenig Geduld aufbringen könnten.« Er zeigte auf seine gebrochenen und krumm wieder zusammengewachsenen Beine. »Pfuscharbeit, aber teuer«, betonte er, »Sie wissen ja, wie das geht.«
»Verstehe.« Das Männlein wollte gehen.
»Halt, wo bringen sie Petre hin, ich meine, in welches Gefängnis?« Ich war überrascht, meine Stimme zu hören.
»Im Augenblick bleibt er hier, bis sie entschieden haben, ob eine Berufung infrage kommt. Aber wenn Sie kein Geld haben, hat sich das wohl erledigt.«
Am nächsten Morgen gab Puscha bekannt: »Joi, dann werde ich den Wagen eben verkaufen. Ich bin gar nicht so hartherzig, wie ihr immer behauptet, und am Geld soll es nicht liegen«, erläuterte sie und vergrößerte unser Staunen ins Unermessliche. Ihr matronenhaftes Äußeres passte sich ihren Worten an. Kerzengerade erhob sie sich vom Frühstückstisch. Unsere stolze Königin war immer für eine Überraschung gut.
Ein Auto? Der Kapitän hatte sich instinktiv ans Ohr gefasst.
»Von welchem Auto sprichst du?«
Doch wir kamen nicht dazu, Fragen zu stellen. Meine Großmutter drehte sich zur Kredenz um, entnahm der obersten Schublade einen uns unbekannten Schlüsselbund und verließ das Haus. Wenig später stellte sie einen hellblauen Opel, Baujahr 1977, top gepflegt, vor dem Tor ab und wartete auf Kundschaft. Es war ein alter Wagen, aber immerhin ein Westfabrikat. Wir staunten. Wie war es möglich, dass man den Besitz eines Autos für sich behielt? Und wozu? Wir, die unter Schock standen, nickten, ohne zu verstehen. Am Abend nahm der Kapitän die Hälfte der Einnahmen entgegen und rief den Anwalt an.
Danach weinten wir viel. Kummer- und Freudentränen vermischten sich. Einer Revision stand nun nichts mehr im Wege.
Die Berufungsverhandlung fand einen Monat später statt, im Februar. Immer noch war es bitterkalt. Nicht nur für Petre ging es ums Überleben. Ein Wunder, wir alle wünschten uns ein Wunder. Doch die zweite Verhandlunggeriet noch kürzer, dauerte lächerliche sieben Minuten. Das Urteil wurde bestätigt. Diese bitteren kleinen Pillen verabreichte uns der Anwalt nach und nach, wie um unseren Zusammenbruch zu verzögern. Er ließ sich viel Zeit, erzählte zunächst alles, was ihm zur Französischen Revolution einfiel, erzählte von seinem jugendlichen Enthusiasmus und dem Grund, warum er sich für den Beruf des Anwalts entschieden hatte, berichtete auch von ähnlichen Rechtsfällen, und dann erst, nachdem ihm die Luft ausgegangen war, teilte er uns den Ausgang der Berufungsverhandlung mit. Die Tatsache blieb bestehen: Wir hatten Petre verloren, zumindest vorläufig. Seine Verlegung ins Staatsgefängnis Aiud stand fest. Aiud war das berüchtigtste Gefängnis überhaupt. Wenn man nur die Hälfte der Erzählungen glaubte, starb man vor Kummer.
Immerhin, Herr Cherea hatte erreicht, dass Petre bald Besuch erhalten durfte. Bei guter Führung in etwas weniger als zwei oder drei Monaten.
Die Wintersonne. Sie erreichte mein Zimmer, doch sie erreichte mich nicht. Zarte Vogelstimmen, ich hörte sie, doch ich schien vergessen zu haben, dass man sich darüber freuen konnte.
Es war doch nur die Sonne, es waren nur Vögel. Der Alltag war kein willkommener Besucher, dem man einen Stuhl anbot; eher glich er einem Minenfeld. Hand in Hand mit Puscha und dem Kapitän durchschritt ich es täglich. Zitternd. Obwohl keine Tretminen mehr hochgingen, hielten wir oft an, blickten verstört um uns. Verstört auch deshalb, weil alles um uns herum ganz normalfunktionierte. Die Sonne und die Vögel und Leo und die Schule und Sebastian.
In der Schule war die Heizung ausgefallen, offiziell aber
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