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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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schwer.
    »Petre hat alleine, wirklich alleine, Hunderte von Kopien hergestellt. Immer mit dem gleichen Inhalt:
     
    Wer gegen die Politik von Ceauşescu protestieren will, soll jeden Sonntag, 11   Uhr, auf den Marktplatz kommen.
     
    Glaub mir, ich wusste nichts davon, bis zu dem Tag, als du im Keller herumgeschnüffelt hast.«
    »Du musst aber einen Verdacht gehabt haben.«
    »Nicht den geringsten«, seufzte der Kapitän, »sonst hätte ich ihn früher rausgeworfen.«
    »Du? Ich dachte er sei wegen mir gegangen.«
    Der Kapitän wischte sich die Augen trocken, betätigte sicherheitshalber die Toilettenspülung und erzählte, dass er damals alles entsorgt hätte, auch die Materialien, die für die Herstellung der, der   …, er suchte nach einem Wort,   … Schriftstücke nötig waren.
    Hastig versuchte ich, mir die damaligen Geschehnisse in Erinnerung zu rufen. Nicht lange nach der ersten Hausdurchsuchung war der Kapitän zusammengeschlagen worden. Ob da ein Zusammenhang bestanden hätte, wollte ich wissen.
    »Ein Zusammenhang?«, lachte Misch bitter. »Sie wollten Petre einen Denkzettel verpassen und haben den Falschen erwischt.« Traurig schaute er zu Puscha auf. »Oder den Richtigen, wer weiß das schon. Oft ist es wirkungsvoller, Hand an die Angehörigen zu legen. Da erst habe ich begriffen   … wirklich begriffen und vor allem am eigenen Leibe gespürt, was für Schweine   … ich meine, wie   … wie gefährlich sie sind.« Er verhaspelte sich mehrmals beim Sprechen, doch seine Stimme war klar.
    Mein Gott, warum er nicht früher alles erzählt hätte, fuhr ich ihn an, damit ich Petre besser   …
    »Was, beschützen oder kontrollieren?«, unterbrach uns Puscha. »Mach dich nicht lächerlich.«
    Das sei meine Sache, widersprach ich, ob Petre wenigstens wüsste, dass ich den Keller nicht leergeräumt hatte.
    »Nein, das weiß er nicht«, gab der Kapitän zu. Um das klarzustellen, hätte er Petre zur Rede stellen müssen, das aber habe er nicht gewollt.
    »Wieso?«
    »Aber das ist doch klar«, erläuterte Misch. »So egoistischPetre auch gehandelt hat, er hat uns immer schützen wollen. Wenn du aber jemanden schützen willst in diesem Regime, dann musst du ihn anlügen. Das wollte ich ihm nicht antun. Ich dachte, nein, ich hoffte, die Sache sei ausgestanden. Aber anscheinend hatte Mira noch Exemplare.«
    »Ein Mitschüler oder Kommilitone hat sie verraten, weißt du, wer es war?«
    Der Kapitän schüttelte den Kopf.
    Da sah ich es. Seine Haare waren grau geworden, nein, weiß, wie frisch gefallener Schnee.

8
    Alles war schwer im Winter 1988   /   89.   Aber wann immer es ging, besuchten Sebastian, Karin und ich das Kino oder das Theater. Die Räume waren sparsam geheizt und die Filme zum Davonlaufen schlecht, billige indische oder tschechische Produktionen. Doch immer brachte jemand einen kleinen Kohlegrill mit, Kohlen natürlich auch oder billige Holzspäne. Mit der Zeit bildeten sich warme Luftschichten, die emporstiegen und die kühlere Luft verdrängten. Wie Stalltiere genossen wir die Gesellschaft der anderen, rückten dicht an Fremde heran. Manchmal allerdings wurde der Rauch unerträglich, und wir mussten das Kino oder das Theater tränenblind und keuchend vor dem Ende der Vorstellung verlassen.
    »Zum Kotzen, dieser Film.« Sebastian japste nach Luft, hielt sich an mir fest. »Aber die Dunkelhaarige hatte hübsche Beine.« Klar, er wollte mich aufheitern, er wollte mich aus der Reserve locken. Seit es so kalt war, hatte er keinen Zipfel Haut mehr von mir zu sehen oder zu spüren bekommen. Das lag auch daran, dass meine Gedanken immer bei Petre waren. Wie nach einem schlimmen Unfall durchlief auch ich verschiedene Phasen. Da war zuerst der Schock, der mich lähmte und meine Zensuren in den Keller fallen ließ. Dann kam der Schmerz und schließlich die Wut. Wut auf diese Verrückten, diese Größenwahnsinnigen und Machthungrigen,die sturzbetrunken, mit einem gestohlenen Wagen, den sie Regierung nannten, ohne Licht und mit überhöhter Geschwindigkeit, die sie Gesetze nannten, auf unser Leben zuhielten. Ich wurde gezwungen, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen: Ich lebte in einer Diktatur, in der das Drucken von Flugblättern härter bestraft wurde als ein Mord. Wie war das möglich? War ich schuld? Ich und meine Eltern und Sebastian und alle, die schwiegen, die sich nicht trauten, die   …
    »Ach, Blödsinn«, fuhr ich Sebastian an, holte aus und verpasste ihm einen Klaps. »Wenn ich

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