Zusammen Allein
hatten wir wegen Prüfungen schulfrei, und das bereits seit mehreren Wochen. Sebastian war mit einem geliehenen Buch vorbeigekommen. Er las nicht gerne, aber um mich zu beeindrucken, borgte er sich meine Bücher.
»Was sind wir?«, fragte er nach einer Weile. Wir saßen nebeneinander auf meinem Bett. Es war kalt, und ich hatte gerade beschlossen, dass es sich bei den Gefühlen Glück und Zufriedenheit um Fiktionen handelte und dass das Leben daher nicht lebenswert sei. »Sind wir irgendetwas, das ich verstehen könnte? Hey, Agnes, hörst du mir zu? Du sitzt da, als wärst du von einer Kobra gebissen worden. Bitte«, fügte er hinzu und stieß mich an. »Könnten wir uns nicht einfach wie Verliebte benehmen, das tun, was sie tun? Du weißt schon«, neckte er mich, »so etwas in der Art von Hollywoodstars, ein bisschen küssen, ein bisschen erotisch sein?«
Seine hellblauen Augen strahlten mich an. Das gefiel mir und gefiel mir nicht.
»Kannst du nicht mal fünf Minuten ernst sein.«
»Ich bin ernst«, stellte er klar und ging nach Hause.
Kartoffeln, Kohl und Wasser. Das schrieb Petre nicht, weil er es nicht schreiben durfte, aber wir lasen es zwischen den Zeilen. Rumänische Gefängniskost wurde nicht nach neusten ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen zusammengestellt. Sein erster Brief, heißbegehrt, brachte uns Gewissheit und zum Weinen. Es ginge ihm gut, schrieb er, er sei zufrieden, es fehle ihm an nichts, dann aber kam die Liste mit den Dingen die er sich wünschte:
2 Stück Butter
½ kg Zucker
½ kg Honig
1 kg Zwiebeln
1 kg Knoblauch
Da ahnten wir, das Essen schmeckte grausam und war nur mit Zwiebeln und Knoblauch herunterzubekommen.
»Joi«, schluchzte Puscha, »er war doch schon so dünn. Wir werden ihn nicht wiedererkennen.«
Ein Wiedererkennen ist an ein Wiedersehen geknüpft, wollte ich sagen, ich sagte es nicht, verbiss mir jedes Wort. Die Besuchserlaubnis, für den 10. April ausgestellt, hatte der Kapitän nicht wahrnehmen dürfen. Wenige Tage vorher war der Termin per Telefon storniert worden.
Warum?, hatte Misch gefragt.
Kein Warum!, hatte ein Oberst geantwortet und dass es dem Herrn Sohn, also Petre, an nichts fehle und sich der Vater, also Misch, keine Sorgen zu machen brauche. Warum keine Briefe einträfen, auch darauf hatte der Oberst eine ausweichende Antwort gegeben. Aber immerhin, er schien veranlasst zu haben, dass dem Gefangenen Petre Dobresan Papier ausgehändigt worden war. Ich hielt ein staatliches Geschenk in Händen.
Ihr Lieben, bei den Mengen kommt es auf jedes Gramm an, denkt daran, es ist mein erstes Päckchen, bitte vermasselt es nicht. Auch die Adresse hat sich geändert. Ich bin jetzt in Piteşti. Dadurch darf ich mindestens einen Monat lang keinen Besuch erhalten. Sonst aber ist es sehr schön hier.
»Immer noch kein Besuchsrecht«, wiederholte ich, »warum machen sie das?«
Das Klima war nicht nur außerhalb der Häusermauern rau. Auch innerhalb der eigenen vier Wände blies ein kalter Wind. Puscha und der Kapitän nutzten jeden Anlass zum Streiten.
»Er war immer schon ein rebellischer Charakter«, sagte Misch, nachdem auch er den Brief gelesen hatte. »Bestimmt hat er wieder gegen Vorschriften verstoßen.«
»Schmarren«, widersprach Puscha. »Du redest, als wärst du nie beim Militär gewesen. Und jetzt addier, nein, multiplizier das Militär mal zehn, dann weißt du, wie es in einem solchen Gefängnis zugeht. Es reicht, wenn man die Bettdecke nicht stramm genug anzieht, es reicht, wenn man sich aufs Bett setzt, obwohl man stehen muss, oder wenn man zum Fenster hinausschaut, weil einen die Sehnsucht auffrisst.«
»Ach, und das alles weißt du?« Der Kapitän wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
»Weil ich nicht nur herumsitze und mich bemitleide«, fuhr Puscha ihn an. »Weil ich bei Familie Stoiau war. Mira ist nach knapp vier Monaten entlassen worden. Ihre Informationen sind aus erster Hand.«
Bislang hatte ich mich aus dem Streit herausgehalten, doch diese Nachricht ließ mich aufspringen.
»Warum hast du mir nichts gesagt?« Beleidigt schlug ich gegen die Tischkante.
Puscha, eine Hand im Haar, die andere am Mund, wie um weitere Worte abzufangen, drückte mich zurück auf den Stuhl und setzte sich neben mich. Ihre Schulter berührte meine Schulter. Doch das, was eine wirklich tiefe Freundschaft ausmacht, das Vertrauen, gehörte immer noch nicht zu unserer Beziehung.
»Mach kein Theater, du weißt,
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