Zusammen Allein
aber du bist meine zuverlässige Liebe. Ich weiß nicht, was ich machen soll!«
In Sebastian versteifte sich alles, dann, nach einer furchtbar peinlichen Minute, löste er meine Hände und hielt mich auf Abstand.
»Kann es sein, dass du mich mit deiner allerbesten Freundin verwechselst?«, fragte er sichtlich verwirrt.
Mit solch einem Geständnis schien er nicht gerechnet zu haben. Aber hatte er gedacht, dass mir die Entscheidung leichtfallen würde? Was auch immer er erhofft hatte, ich schien eine Enttäuschung für ihn zu sein. Bitter, ja, seine Stimme nahm einen bitteren Ton an. Er sei sich sicher, sagte er, dass er sich mein Jammern nicht länger anhören wolle. Das sei mein Problem, nicht seins, gab er bekannt. Er wüsste schließlich, was er wolle.
Wie in Zeitlupe drehte er sich um und ging hinaus. Ohne zu kämpfen. Ohne Servus zu sagen. Er verschwand einfach aus meinem Leben.
Weder mit Puscha noch mit Petre sprach ich über diesen verunglückten Besuch. Das war auch nicht nötig. Puscha schien wie eine Hellseherin alle Vorgänge im Haus beobachten zu können. Und da sie keine Scham kannte, erfuhren es alle beim Abendessen:
»Schaut, wie mein Herzpinkel im Essen stochert. Sie hat einen Hofierer verloren. Glaub mir, wenn es eine Medizin gegen Dummheit geben würde, ich würde sie dir besorgen.«
Ich war zu schockiert, um angemessen zu protestieren. Petre war es, der mich in Schutz nahm.
»Sie ist erwachsen.«
»So, ist sie das?«
Wovon überhaupt die Rede sei, wollte Misch wissen. Er war vor vier Tagen entlassen worden. Endlich hatten sie einen konkreten Grund, ihn noch mehr zu demütigen. Seine Schwester hatte nämlich einen Ausreiseantrag gestellt. Vielleicht hatte Puscha einfach nur schlechte Laune und war in der Wahl ihrer Opfer eingeschränkt. Petre litt unter Auszehrung, Misch war krank vor Kummer und ich nur deprimiert. »Joi«, stöhnte Puscha theatralisch, »sie hat das einzig Richtige gemacht, sie hat endlich aufgeräumt und sich entschieden, doch jetzt plagen sie Zweifel.«
»Welche Zweifel?«, Misch verstand immer noch nicht.
Und Petre wurde unruhig, verließ kopfschüttelnd den Raum.
In mein Zimmer kam er nicht mehr. Da war mir klar, ich hatte nicht aufgeräumt und mich entschieden, wie Puscha so schön fabulierte, ich hatte alles verloren. Ganz allein stand ich da. Mit leeren Händen.
Es war Mitte Dezember und eisig kalt. Ein Anruf von Liane: »Komm zum Marktplatz, es gibt Watte.«
Ich ließ alles stehen und liegen, hastete zur genannten Apotheke. Bereits von Weitem erkannte man die Schlange aus zumeist sehr alten und sehr jungen Menschen, die sich entlang der Häuserreihen gebildet hatte. Immer wieder blieben Passanten stehen, schauten auf die Uhr, dann stellten sie sich hinten an, ohne zu fragen, was es zu kaufen gab. Man konnte einfach alles brauchen. Bereits nach wenigen Minuten merkte ich jedoch, dass das Anstehen nur ein Vorwand zusein schien. Ein Tuscheln ging von Mund zu Mund. Merkwürdige Dinge waren geschehen. Ein Pfarrer in Temeschwar hatte Kritik an der Regierung geübt. Das Besondere daran war, dass seine Meinung ungehindert verbreitet wurde.
»Erzähl alles, was du gehört hast«, drängte ich Liane.
»Genaues weiß ich nicht, aber er soll im ungarischen Fernsehen über die wachsende Unmenschlichkeit des Regimes geredet haben. Stell dir vor, im Fernsehen!« Lianes Wangen hatten sich glühend rot verfärbt. Um nicht festzufrieren, traten wir auf der Stelle. Unsere Gesichtsfarbe hatte jedoch mit den Außentemperaturen nichts zu tun. Lianes Aufregung hatte sich auf mich übertragen.
»Weiter«, hakte ich nach.
»Aber jetzt geht’s ihm an den Kragen. Er soll strafversetzt werden. Die Sekuritate bewacht ihn, weil seit Tagen Gläubige vor seiner Haustür protestieren.«
»Woher weißt du das?
Liane zuckte die Schultern. Ob ich Ungarisch verstehen würde, wollte sie wissen, dann könnte ich es im Radio hören. Der verbotene ungarische Sender dürfe wieder senden. Hinter uns teilten sich zwei Frauen ebenfalls ein Geheimnis, doch plötzlich verstummte ihr Gespräch. Wir drehten uns um und starrten in ertappte Gesichter. Vermutlich lag ihnen das gleiche Thema auf dem Herzen. Trotzdem dauerte es eine Weile, bevor ich Liane die nächste Frage zu stellen wagte.
»Sie haben die Abschiebung dieses Pastors bekanntgegeben, warum?« Dieses Detail war äußerst interessant. Warum sollten die Geheimen auch nur ein einziges Wort über ihre Pläne verlieren? Ich merkte,
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