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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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mein Zimmer zurück.
     
    Sorgsam stellte ich den Sorgensack, der seit Petres Verhaftung immer schwerer geworden war, in eine freie Ecke des Raumes. Mit Tränen in den Augen spürteich einer neuen Klarheit nach und wunderte mich. Die Liebe, an die ich mich so verzweifelt geklammert hatte, die Liebe zu einem Mann, der wohl nie zu mir gepasst hatte, war nicht größer geworden, sondern immer nur schwerer. Ungern erinnerte ich mich an Puschas Worte: »Von der Liebe, mein Kind, verstehst du weniger als nichts.« Es stimmte. Aber statt Empörung breitete sich Erleichterung wie eine schmerzstillende Medizin in mir aus. Und ich begriff: Mein Körper sehnte sich nach Ruhe und Heilung. Vielleicht war Rumänien im Begriff, sich zu verändern. Vielleicht sollte ich mich ebenfalls verändern.
     
     
    Es war eine weite Reise in westlicher Richtung. Wir durchquerten verschneite Ortschaften und von Ruß bedeckte Städte, die aussahen, als trügen sie das Sterbekleid. Sebastian war nicht dabei. Als seine Schwester ihm mitteilte, Petre würde mitfahren, zog er es vor, zu Hause zu bleiben. Es gab keine Zugfahrkarten. Deshalb mussten wir mit Lastwagen mitfahren, die oft anhielten, um kleinere und größere Nebengeschäfte zu tätigen. Keiner der Fahrer fragte uns, was wir vorhatten, keiner wollte zu dem aktuellen Thema Stellung beziehen. Weil wir zu dritt waren, trennten wir uns, um schneller mitgenommen zu werden. Petre und ich kamen zwei Stunden nach Liane an. Nur kurz schauten wir bei ihren Verwandten vorbei, dann machten wir uns auf zum Haus des Pastors.
     
    »Erös car a mi istentünk«, das Gotteshaus ist die größte Macht. Welche Enttäuschung. Es war Samstagnachmittag, und vor dem Backsteinhaus hatten sich lediglichein Dutzend alte Männer versammelt. In ihren Händen, zitternd, hielten sie brennende Kerzen, und murmelnd bekräftigten sie ihren Glauben. Von Tökes war nichts zu sehen, aber ein paar Uniformierte standen im Garten des Pfarrhauses und blickten gelangweilt auf die Demonstranten. Die Szenerie auf dem Platz mutete feierlich an, aber ich vermochte in die christlichen Lieder nicht einzustimmen, und Petre und Liane erging es ähnlich. Trotzdem blieben wir. Und erlebten, wie sich der Marienplatz füllte. Es war unglaublich, meine Mundwinkel wollten gar nicht mehr nach unten wandern. Jetzt waren es nicht nur Alte, immer mehr Junge kamen. Und zu den Ungarn gesellten sich Deutsche, Serben und natürlich Rumänen. Aber auch die Zahl der Soldaten wuchs. Fast lautlos hatten sie sich angeschlichen. Petre kannte sich aus.
    »Sie gehören zu den gefürchteten FO I-Truppen «, wisperte er uns zu. »Eine Militäreinheit, die erst nach den Unruhen in Kronstadt gebildet wurde.«
    Inzwischen war es stockdunkel geworden, und wären die Temperaturen nicht wie durch ein Wunder gestiegen, statt wie üblich die Nullgrenze zu unterschreiten, wir hätten nicht mehr lange ausharren können. So aber blieben wir, in unserer Angst vereint, aber auch in einer bislang ungekannten Kampfeslust. Merkwürdig schmeckte dieser neue Mut, der durch fünfundzwanzig Jahre Diktatur nicht nur unseren Großeltern und Eltern, sondern auch den meisten von uns ausgetrieben worden war. Bewundernd betrachtete ich Petres Profil. Um wie viel mehr Courage hatte er als Einzelkämpfer aufbringen müssen. Mit sechzehn war ich zu jung gewesen, um das zu begreifen. Jetzt tat ich es.
    Um uns zu unterstützen, hatten viele Bewohner der umliegenden Bürgerhäuser die Deckenlampen eingeschaltet, sodass die Ränder des Platzes in ein gespenstisches Licht getaucht wurden. Wenn man sich umschaute, erblickte man eine Perlenkette aus bewaffneten Soldaten, deren strahlend weiße Helme wie aufgefädelt wirkten. Doch da sich das Militär ruhig verhielt, wuchs meine Zuversicht. Wir waren viele, sie konnten uns unmöglich alle erschießen.
    »Bestimmt kommen noch mehr Demonstranten«, beruhigte mich Petre, »und vielleicht haben sich auch an anderen Orten Menschen versammelt.«
    Ein kämpferisches Glimmen war in seine Augen zurückgekehrt. Ich war so froh, dass er mitgekommen war, wenngleich ich den Verdacht nicht loswurde, dass er sein Misstrauen nur mir zuliebe unterdrückte.
    »Erös car a mi istentünk«, skandierten die Gläubigen neben uns.
    Endlich stellten die Menschen Forderungen. Ein Wunder geschah, und wir waren dabei. Und dann sang ich doch mit, sang laut, viel lauter, als für die Allgemeinheit gut war, ich sang christliche Lieder, deren Texte ich nicht verstand. Doch

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