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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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plagten sie Selbstmordgedanken.
    Petre schluckte, dann öffnete er den Mund, schloss ihn wieder, als hätte er es sich anders überlegt. Offenbar suchte er nach Worten.
    »Es war sehr anders.« Ein Lächeln tauchte auf seinem Gesicht auf wie ein Blitz, danach wirkte sein Ausdruck wieder gleichgültig. »Die Zellentüren sind nur von außen zu öffnen. Licht gibt es von sieben bis acht Uhr und von achtzehn bis zwanzig Uhr. Ich glaube, ich habe mir die Augen verdorben.« Mehr sagte er nicht.Er hob das Glas wie ein alter Mann, langsam, ohne Lust.
    »Joi, sie haben Angst gehabt, dass du ihnen im Gefängnis abkratzt«, seufzte Puscha, und obwohl ich aufgesprungen war und ihr mit der Hand drohte, fuhr sie fort: »Deshalb durftest du gehen.«
    »Nicht«, zischte ich und blickte Hilfe suchend zu Misch hinüber. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, lenkte Puscha ein: »Ist ja gut, ich lass ihn. Wenn ihr wollt, dürft ihr nach oben gehen.« Dass sie mich wie ein Kleinkind behandelte, war nichts Neues, bei Petre hatte sie sich eine solche Einmischung bislang nicht erlaubt. Sie musste sich schon sehr um ihn sorgen. Bestimmt hatte sie deshalb vorgeschlagen, Misch solle ganz zu ihr ziehen. So hatte Petre wieder ein eigenes Zimmer.
     
     
    Die Fremdheit in der Liebe. Während des Briefwechsels war sie nur schattenhaft zu spüren gewesen, jetzt aber drängte sie sich wieder in den Vordergrund. Eine ewige Begleiterin, die Petre und mir zusetzte. Das, was er erlebt hatte, was ich nicht erlebt hatte, es trennte uns, als stünden wir an gegenüberliegenden Ufern. Langsam, wie ein Reptil nach langem Winterschlaf, richtete Petre sich ein in der Welt der Normalität, die in Rumänien einen besonderen Geschmack besaß. Auf Fragen antwortete er selten. Nur ab und zu, wie aus Versehen, drangen Erinnerungssplitter aus ihm heraus.
    »Die Regeln wurden ständig geändert«, sagte er einmal. »Von einem Tag auf den anderen durften wir die Fenster nicht mehr öffnen.« Irritiert schaute er sich um, sein Blick glitt in den Garten. Wo immer er sich aufhielt,musste wenigstens ein Fenster weit offen stehen. Kein Problem, es war erst September, doch wie sollte das in ein, zwei Monaten werden?
    Man sollte es nicht für möglich halten. Petre hatte sich im Gefängnis zum starken Raucher entwickelt. Er rauchte und hustete, hustete und rauchte. Immer abwechselnd. Einmal brachte Puscha es auf den Punkt:
    »Du brennst wie eine Grabkerze, ohne Pause. Ich kann nicht verstehen, wie man fast krepieren kann vor Hunger und sich von dem Wenigen, das man besitzt, Zigaretten kauft.«
    Sie erhielt keine Antwort.
    Auch ich hustete und bekam tränende Augen in Petres Nähe.
    Als er den Zusammenhang endlich begriff, ging er zum Rauchen hinaus. Das war keine gute Idee. Da er Kettenraucher war, verbrachte er den ganzen Tag im Garten. Er saß mit leicht gebeugtem Rücken auf der Bank, den Blick an den jungen Nussbaum oder darüber hinaus geheftet. Er und Leo wurden die allerbesten Freunde. Wenn Petre sich vergaß, fiepte er wie ein Welpe, knurrte wie ein Wolf, lachte dann über Leos Reaktion, der die Ohren aufstellte wie ein kleines Kind. Einfachste Arbeiten strengten ihn an. Und nie nahm er ein Buch mit hinaus, dabei hatte er Bücher geliebt und alles darangesetzt, im Gefängnis welche zu ergattern.
    Regelmäßig fuhr ihn der Kapitän ins Krankenhaus. Für das Benzin, das die Taxifahrer forderten, opferte Puscha die Ersparnisse, die ihr vom Autoverkauf geblieben waren. Daran sah man, sie liebte Petre. Zweieinhalb Wochen war er im Gefängniskrankenhaus isoliert worden. Die medikamentöse Behandlung konnte weitereMonate, vielleicht sogar Jahre dauern. Mamusch schickte per Express verschiedene Antibiotika. Ein Cocktail war nötig, damit verspielte Bakterien keine Chance bekamen. Wenn die Therapie nicht anschlug, musste Petre stationär ins Krankenhaus. Oft genug vergaß er seine Tabletten, und Puscha musste ihn ermahnen. Das Argument mit dem Geld zog am besten, auf seine Gesundheit jedoch schien er zu spucken.
    »Ob drinnen oder draußen, wir leben in einem Gefängnis. Ganz Rumänien ist umschlossen. Wer nicht fliehen kann, verschimmelt bei lebendigem Leib.« Sein Atem ging stoßweise, er rang nach Luft. »An klaren Tagen kann man die Gitterstäbe sehen.«
    Ähnliches hatte er auch zuvor geäußert, vor seiner Inhaftierung, doch der Ton, vielleicht auch sein Ausdruck, war ein anderer gewesen.
     
     
    In seiner Abwesenheit sprachen wir von Petre II.
    Der alte Petre hatte

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