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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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aufgetaucht, ebenfalls im Wollmantel, und ich sah, dass er in der Hand einen Knüppel schwenkte. Noch bevor ich etwas tun konnte, sauste der Knüppel auf den Kopf des jungen Mädchens nieder, das zwei Reihen vor mir stand. Sie sank ohne Schrei zu Boden, aus einer Wunde an der Schläfe sickerte Blut. Wie auf Kommando griff das Militär ein und versuchte, die Demonstration durch gezielte Schüsse zu beenden. Mihály und Petre reagierten sofort. Sie, die Erfahrenen, erkannten die Gefahr. Geheimdienstler in Zivil hatten sich in die Kundgebung gemischt und die Proteste angeheizt. Jetzt aber schlugen sie zu. Mihály bedeutete uns, ihm sofort zu folgen. Inzwischen konnte man sie hören, die Panzer und Feuerwehrwagen, die sich dem Opernplatz näherten. Etliche Demonstranten schrien auf, rieben sich das Tränengas aus den Augen. Das alles bekamen wir nur am Rande mit, denn Mihály lotste uns souverän durch Nebenstraßen in den Westender Stadt. Obwohl wir schnell waren, überholten uns zahlreiche Menschen, die Versammlung schien sich aufgelöst zu haben. Nur mit Mühe konnte ich mit den anderen Schritt halten. Auch Petre fiel zurück, nahm meine Hand und ließ sie nicht mehr los. Ich machte mir schreckliche Sorgen, um ihn, um mich.
    Erst eine halbe Stunde später erreichten wir das Ziel, die Fabrik, in der Mihály arbeitete. Die Gebäude befanden sich in einem desolaten Zustand, das sah man sogar bei Kerzenlicht, doch da Mihály sich auskannte und uns ein sicheres Versteck zeigte, beruhigte ich mich. Petre hielt immer noch meine Hand.
    »Was haben die Geheimen vor?« Endlich konnte ich meine Fragen stellen. »Habt ihr gesehen, dass sie wahllos Leute zusammengeschlagen haben, mit denen sie wenige Minuten vorher noch einträchtig nach Freiheit gerufen haben?«
    Petre schwieg lange, wie um das Gesehene zu verarbeiten. »Im Gefängnis«, erzählte er schließlich stockend, »habe ich alle Facetten der Sekuritate kennengelernt.« Sein vertrauter Zellengenosse hatte sich als Verräter entpuppt, nachdem er ihn zum Ungehorsam angestachelt hatte.
    »Aber was die Geheimen im Schilde führen, das kann ich dir auch nicht sagen. Ich weiß immer noch nicht, wer dieses Schiff auf Fahrt geschickt hat und wer es steuert. Wir, das Volk, sind es jedenfalls nicht.«
    Eine hitzige Diskussion entspann sich. Sollten wir am nächsten Morgen wieder an den Protesten teilnehmen, oder sollten wir nach Kronstadt zurückfahren? Für Mihály und Liane stand fest, dass sie weitermachen wollten. In meinem Kopf verschwammen die Eindrücke.Immer enger drückte ich mich an Petre. Er war meine Mauer, die mir Halt bot und hinter der ich mich und meine Angst verstecken konnte. Auf der anderen Seite spürte ich, dass er mit seinen Gedanken weit weg war. Er nahm mich kaum wahr.
     
     
    Hunger, ich erinnere mich gut an dieses banale Gefühl, das stärker war als unsere Angst. Der Hunger lockte uns am nächsten Tag aus unserem Versteck und führte uns zurück in die Innenstadt. Es war Sonntag, in ganz Temeschwar hatte kein Geschäft geöffnet, doch wir machten einen derart armseligen Eindruck, dass eine alte Frau hinter uns herrief und uns in ihr Haus einlud. Sie teilte ihr Essen mit uns, und wir teilten die Neuigkeiten mit ihr. In der gesamten Stadt waren jetzt Menschen auf den Straßen, auch vor dem Milizquartier und dem Gebäude der Sekuritate. In der Nacht, so hatten wir erfahren, waren zahlreiche Demonstranten verhaftet worden, die Angehörigen forderten ihre Freilassung. Dass es Tote und Verletzte gegeben hatte, verschwiegen wir. Nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal tauchte das Bild des jungen Mädchens vor mir auf, vielleicht war sie dreizehn, vielleicht vierzehn gewesen, und bestimmt hatte sie der Schlag schwer verletzt.
    Still und in mich gekehrt folgte ich den anderen zum Opernplatz. Wieder kamen wir nicht über den Kanal. Wieder hatte die Miliz die Brücke abgesperrt, um den Zusammenschluss der verschiedenen Protestströme zu verhindern. Doch sie wagten nicht zu schießen, das war der Nährboden, auf dem unser Mut erneut wuchs und unser Durchhaltevermögen gedieh. Es war doch soeinfach. Man musste nur trotzig genug sein und standhalten oder wiederkommen. Und das Wetter, spielte es nicht perfekt mit? Kein Schnee, kein Eis, die ungewohnt milden Temperaturen ließen uns seufzend Gott danken. Er wollte ein Wunder tun, und wir halfen ihm bei der Durchführung. Aber wir fühlten uns nicht mehr unbesiegbar.
    Dann, vielleicht war es um sechzehn Uhr,

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