Zusammen ist man weniger allein
doch sagen, wenn es ihr zuviel wäre, oder?«
»Meinst du?«
Er sah durch seine Brillengläser, die er gerade putzte.
»Ich weiß nicht. Sie ist so voller Geheimnisse. Ihre Vergangenheit. Ihre Familie. Ihre Freunde. Wir wissen nichts über diese junge Frau. Ich für mein Teil verfüge neben ihren Heften über keinerlei Anhaltspunkt, der mir gestattete, auch nur die geringste Hypothese zu ihrer Biographie anzustellen. Keine Post, keine Telefonanrufe, niemals Gäste. Stell dir vor, wir würden sie eines Tages verlieren, wir wüßten nicht einmal, an wen wir uns zu wenden hätten.«
»Sag nicht so was.«
»Doch, das sage ich. Denk darüber nach, Franck, sie hat mich überzeugt, sie hat Paulette mitgenommen, hat ihr Zimmer abgetreten, heute kümmert sie sich unglaublich liebevoll um sie, nein, sie kümmert sich nicht um sie, sie sorgt für sie. Sie sorgen beide füreinander … Wenn ich da bin, höre ich sie den ganzen Tag lachen und schwatzen. Außerdem versucht sie, nachmittags zu arbeiten, und du bist nicht einmal imstande, deine Versprechen zu halten.«
Er setzte seine Brille wieder auf und nahm ihn einige Sekunden ins Visier:
»Nein, ich bin wirklich nicht sehr stolz auf Sie, Soldat.«
Mit Blei an den Beinen ging er sie anschließend zudecken und stellte den Fernseher aus.
»Komm mal her«, flüsterte sie.
Verdammt. Sie schlief gar nicht.
»Ich bin stolz auf dich, mein Kleiner.«
Da soll sich noch einer auskennen, dachte er und legte die Fernbedienung auf den Nachttisch.
»Komm, Omi. Schlaf jetzt.«
»Sehr stolz.«
Ja, ja. Bestimmt.
Die Tür zu Camilles Zimmer stand halb offen. Er stieß sie auf und fuhr zusammen.
Das fahle Flurlicht fiel auf ihre Staffelei.
Er verharrte einen Augenblick regungslos.
Erstaunen, Erschrecken und Bewunderung.
Hatte sie wieder einmal recht?
Konnte man Dinge verstehen, ohne sie gelernt zu haben?
War er am Ende vielleicht gar nicht so dumm? Weil er instinktiv die Hand nach diesem Körper ausgestreckt hatte, um ihm aufzuhelfen, war er vielleicht gar nicht so beschränkt?
Spinnen am Abend, erdrückend und darbend. Er zerdrückte sie und holte sich ein Bier.
Er ließ es schal werden.
Er hätte sich nicht im Flur herumtreiben sollen.
Dieses ganze Chaos brachte seine Navigationssysteme durcheinander.
Verflucht.
Wobei, im Moment ging’s ja ganz gut. Wo sich das Leben ausnahmsweise mal von seiner netten Seite zeigte.
Sofort nahm er die Hand vom Mund. Seit elf Tagen kaute er nicht mehr an den Nägeln. Nur noch am kleinen Finger.
Aber der zählte nicht.
Groß werden, groß werden. Etwas anderes hatte er nicht getan, als groß zu werden.
Was würde aus ihnen allen werden, wenn sie verschwand?
Er rülpste. Gut, es gab noch was zu tun, ich habe einen Crêpeteig vorzubereiten.
Es war der Gipfel der Hingabe, daß er ihn mit dem Schneebesen anrührte, um sie nicht zu stören, ein paar geheime Zauberformeln murmelte und ihn ruhen ließ.
Er deckte ihn mit einem sauberen Geschirrhandtuch zu, rieb sich die Hände und verließ die Küche.
Morgen würde er ihr Crêpes Suzette machen, um sie für immer zu halten.
Ho ho ho. Allein vorm Badezimmerspiegel imitierte er das dämonische Lachen von Fred Fiesling aus Wacky Races .
Hu, hu, hu. Das war das Lachen von Teufelszahn.
Oh Mann, war das witzig.
13
Schon lange hatte er die Nacht nicht mehr mit ihnen verbracht. Es waren schöne Träume gewesen.
Am nächsten Morgen holte er Croissants, und sie frühstückten gemeinsam in Paulettes Zimmer. Der Himmel war sehr blau. Philibert und sie ergingen sich in tausend Höflichkeiten, während Franck und Camille sich still an ihren Schalen festhielten.
Franck fragte sich, ob er das Bettzeug wechseln sollte, und Camille fragte sich, ob sie einiges anders handhaben sollte. Er suchte ihren Blick, doch sie war nicht mehr da. Sie war bereits in der Rue Séguier, in Pierre und Mathildes Salon, kurz davor, zu kneifen und zu fliehen.
Wenn ich es jetzt wechsle, traue ich mich nicht mehr, mich ein Stündchen hinzulegen, und wenn ich es nach dem Mittagsschlaf wechsle, wirkt es ein bißchen plump, oder? Ich hör sie schon kichern …
Oder aber ich gehe in der Galerie vorbei? Gebe meinen Karton bei Sophie ab und verdrücke mich gleich wieder?
Außerdem, vielleicht legen wir uns ja gar nicht hin … Vielleicht bleiben
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